Wo der Wald das Überleben sichert

unterspuelter Baum - tree roots
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Sub. Um den Welthunger zu bekämpfen, muss künftig mehr Augenmerk auf den Erhalt und die nachhaltige Nutzung von Wäldern gelegt werden. Das zeigt ein umfassender Bericht.

Eine Milliarde Menschen brauchen die Ressourcen, die Wälder bieten, für ihr tägliches Leben. Zu diesem Schluss kommt der neueste Report „Wälder, Bäume und Landschaften für Nahrung und Ernährungssicherheit“, der unter österreichischer Federführung von mehr als 60 Expertinnen und Experten des Internationalen Verbandes forstlicher Forschungsanstalten, IUFRO, erstellt wurde.

Der Fokus der interdisziplinären Analyse lag auf Ländern, in denen Hunger und Mangelernährung verbreitet sind. Anhand hunderter Studien und zahlreicher konkreter Beispiele wird die immense Bedeutung von Wäldern fassbar: Für Abermillionen Menschen ist der Wald die günstigste, oft einzige Quelle für Feuerholz zum Kochen und Heizen, für Futter für ihr Vieh, für günstiges Baumaterial. Wälder liefern gesunde Speisen, Pflanzen und Früchte, Insekten und Honig, Wild, Vögel, Fisch und anderes Getier. Wo auf Märkten gehandelte Nahrungsmittel oft unerschwinglich sind, tragen diese Geschenke der Natur entscheidend zur Versorgung mit Vitaminen und Nährstoffen, Ölen und Protein bei. Zudem kann das Gesammelte getauscht oder verkauft werden: auf lokalen Märkten oder sogar international, wie die Beispiele Paranuss, Sheabutter oder Bambus zeigen.

Die verborgene Ernte

Angesichts dieser großen Bedeutung für das tägliche Leben armer Bevölkerungsschichten erstaunt es, dass Wälder als Ressourcenquelle in die Strategiepapiere gegen Hunger bisher kaum Eingang gefunden haben. „Das liegt hauptsächlich daran, dass sich nur schwer beziffern lässt, was und wie viel genau vom Wald bezogen wird“, erklärt der Herausgeber und Koordinator des IUFRO-Reports, Christoph Wildburger. „Diese Produkte fließen ja fast nie in den ökonomischen Kreislauf ein.“ Die Wissenschaft spricht deshalb auch von „hidden harvest“: verborgener Ernte.

Der von der UNO beauftragte Report führt erstmals die regionalen Untersuchungen zur Waldnutzung mit bestehenden großen Datensätzen zusammen, um diese Wissenslücke zu schließen und Trends und Handlungsempfehlungen abzuleiten: „Eine zentrale Erkenntnis ist die starke Verbindung von Wald und Ernährungssicherheit“, so Wildburger. Gerade die Ärmsten sind von der freien Nutzung des Waldes und seiner Ressourcen abhängig. Wird ihnen diese verwehrt, etwa, indem ein Gebiet unter Naturschutz gestellt wird, verschärft sich ihre Ernährungssituation oft dramatisch. „Viele wandern dann in Städte ab, in denen sie sich noch weniger – und viel weniger Gesundes – leisten können.“ Im Sinn der „Zero Hunger Challenge“, die den Hunger in der Welt in den nächsten Jahren eliminieren möchte, müsse daher gezielt auch auf Wälder als Nahrungslieferanten gesetzt werden.

„Bestätigt hat sich natürlich auch die Bedeutung als Ökosystem“, fährt Wildburger fort: Wälder schützen den Boden vor tropischer Sonne und Regenmassen, Lawinen, Muren, Hangrutschungen. Und sie regulieren den Wasserhaushalt: „In der südlichen Hemisphäre werden laufend riesige Waldgebiete vernichtet, um landwirtschaftlichen Flächen Platz zu machen. Das schafft Probleme im Wasser- und Nährstoffhaushalt“, warnt Wildburger. „Werden ökologische Grenzen weiterhin ignoriert, wird Landwirtschaft in diesen Gebieten künftig sehr schwierig.“

Folgerichtig gilt es, Wälder künftig besser zu schützen und nachhaltiger zu nutzen. Aber wie? Die IUFRO empfiehlt „multifunktionale Landschaften“: verschiedene Landnutzungsarten, die nebeneinander bestehen und alle Bedürfnisse, den Schutz der Artenvielfalt eingeschlossen, abdecken. „Es hat sich als nicht zielführend erwiesen, große Naturschutzgebiete zu schaffen, aus denen die regionale Bevölkerung ausgeschlossen wird“, so Wildburger, „das sagen inzwischen auch Umweltschutzorganisationen.“ Die Ärmeren lassen sich durch Verbote ohnehin nicht abschrecken; und die Überwachung sei schwierig und kostspielig.

Bevölkerung einbinden

„Waldschutz kann nur gelingen, wenn die Bevölkerung eingebunden wird.“ Dafür braucht es eine starke Politik. Dass hier in vielen Ländern noch sehr viel im Argen liegt, dass Landnutzungsrechte erst gesichert, Korruption bekämpft, gegen die Bevölkerung gerichtete Interessen zurückgedrängt werden müssen, ist Wildburger und seinem Team bewusst. „Der Bericht zeigt die Richtung, in die es gehen muss. Nun ist es an der Weltgemeinschaft, entsprechende Beschlüsse zu fassen und politischen Druck zum Schutz von Wald und Ernährungssicherheit aufzubauen.“

LEXIKON

„Zero Hunger Challenge“. Viel beachteter Handlungsaufruf von UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon in Rio 2012. Die Initiative verfolgt fünf Ziele: dass alle Menschen das ganze Jahr über Zugang zu ausreichend Nahrung haben, es bei Kleinkindern keine Entwicklungsverzögerungen durch Hunger oder mangelnde Hygiene mehr gibt, Kleinbauern ihr Einkommen verdoppeln, die Nahrungsmittelproduktion weltweit nachhaltig ist und keine Lebensmittel mehr verschwendet werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.06.2015)

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