Wie geht es den Meeren?

A man fishes on the Jamaique beach in Saint-Denis on the French Indian Ocean island of La Reunion
A man fishes on the Jamaique beach in Saint-Denis on the French Indian Ocean island of La Reunion(c) REUTERS (JACKY NAEGELEN)
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Manche Forscher wollen die Litanei vomMeeruntergang nicht mehr hören: Fest steht nur, dass überfischt wird. Andere Bereiche wirken weniger düster.

Von den Meeren hörte man lang wenig Gutes, ganz im Gegenteil: „Die Überfischung geht allen anderen menschlichen Störungen voran, eingeschlossen Verschmutzung, Verschlechterung der Wasserqualität und Klimawandel [...] Die Litanei des Wandels umfasst Sauerstoffmangel, Verlust von Seegras, giftige Algenblüten, Quallenausbrüche, Fischsterben.“ Das stand 2001 in einem höchst einflussreichen Artikel in Science (293, S.629) – bis 2014 wurde er 3945-mal zitiert, so etwas ist rar in der Meeresbiologie –, und die Litanei war damit noch lang nicht zu Ende.

Aber nicht alle in der Zunft wollten sie noch länger hören, ein Gruppe um Carlos Duarte (University of Western Australia) preschte vor: Man habe genug vom ewigen Weltuntergang – „excessive gloom and doom“ –, der werde hinter vorgehaltenen Händen auf Tagungen schon lang kritisiert, er blase regionale Ereignisse zu globalen auf, die zudem alle anthropogen seien. Das mache die Menschen mutlos und die Journale reich – Duarte zieh Science und Nature der Sensationsgier –, und unter deren Druck habe es sich zum Endzeitritual verfestigt (BioScience 65, S.130).

Duarte erwartete von der Publikation einige „Hitze“, viel bekam er nicht zu spüren, nur Nature berichtete, eher wohlwollend, man ließ Duarte gar mit einem aktuellen Vorwurf zu Wort kommen: Eine eben in Nature erschienene Publikation über ein Massenauftreten von Quallen vor der Küste Chinas (Nature 514, S.545) zähle zum „gloom and doom“ (Naturenews 14. 1.). Duarte hat keinerlei Zweifel daran, dass es diese Quallenblüte gab, so wie es früher schon viele gab, einmal musste gar ein Kernkraftwerk in Kuba abschalten, weil die Kühlwasserrohre verstopft waren. Aber oft sind solche Berichte mit Prognosen verknüpft, die die Meere demnächst voller Glibber sehen, weil die Quallen alle Fische fressen und das Regime nie mehr abgeben, wenn sie es einmal übernommen haben. Dafür gebe es bestenfalls „weak evidence“, urteilte Duarte, systematisch erkundet würden Quallenblüten erst seit 2012, man habe schlichtweg keine Daten zum Vergleich, deshalb wisse man auch nicht, ob natürliche Zyklen hinter dem Phänomen stehen.

So musterte Duarte die Litanei Punkt für Punkt durch: „Strong evidence“ fand er nur für einen Bereich, den der Überfischung. Die wird lang genug erkundet, über sie herrscht kein Dissens, außer einem: Daniel Pauly (Vancouver) hält alles für noch viel schlimmer als der Rest der Zunft. Der verlässt sich auf die Zahlen der Welternährungsorganisation FAO, an die melden die Mitgliedsländer. Aber Pauly hat eine eigene Organisation auf die Beine gestellt – Sea Around Us –, die geht ins Feld, interviewt Fischer, spürt illegale Trawler auf etc. So kommt sie zu Zahlen, die weit über den offiziellen liegen, bei den Fängen der chinesischen Fischereiflotte etwa um das Zehnfache. Viele Freunde hat sich Pauly damit nicht gemacht, Ray Hillborn (Seattle), einer der führenden Fischereiforscher, hält von den Zahlen von Sea Around Us überhaupt nichts, man lässt sein Urteil besser unübersetzt: „They' re just pissing in the wind!“ (Nature 591, S.280).

Den Netzen enteilen. Wie auch immer, selbst von den Überfischten kommen bisweilen gute Nachrichten, 2013 wurde eine Erholung vieler Bestände im Nordatlantik bilanziert (Current Biology 23, S.1432). Und eben gab es gar Hoffnung, manche Fische könnten wenigstens temporär den Netzen enteilen: Unter dem Fangdruck werden von der Evolution die bevorzugt, die zum Entkommen rasch genug sind (Proc. Roy. Soc. B. 5.8.). Lang wird das nicht helfen, dann drehen die Trawler die Motoren auf. Dauerhaftere Good News kommen von einer Sorgenfront, an der schon alles verloren schien, von den Korallen: Seit etwa zwei Jahren spricht sich herum, dass viele sich von Hitzeschäden – Bleiche! – gut erholen, die erste Entwarnung gab Science in einem redaktionellen Beitrag (329, S.1517).

Und heuer überrascht fast im Wochentakt Kunde davon, wie rasch die Anpassung geht: Zunächst fanden sich in Korallen vor Abu Dhabi symbiontische Algen, die das Überleben bei den dortigen 36 Grad (!) ermöglichen (Scientific Reports 5 8562). Dann haben australische Forscher Korallen aus wärmeren und kühleren Regionen gekreuzt: Der Nachwuchs war auf die Wärme eingestellt, über Epigenetik (Science 348, S.1460). Dann halfen wieder Algensymbionten, diesmal in der Karibik (Pnas 112 S.7513). Die waren zudem Bioinvasoren – mit Frachtwasser aus dem Pazifik gekommen –, und die gehören zur Litanei, an prominenter Stelle, Duarte verbucht auch bei ihnen „weak evidence“.

All das heißt natürlich nicht, dass man die Meere erwärmen soll oder verschmutzen oder sonstwie ruinieren. Aber es heißt, dass Wissenschaft auch gegenüber sich selbst wachsam sein muss. Daran arbeitet nicht nur Duarte, andere sind mit dabei, eher leise, wohl wirkungsvoller: Das neue heiße Thema ist die zweite Wirkung des CO2 – neben der Erwärmung –, die Versauerung des Wassers. Sie wird vor allem experimentell erkundet, aber wie! Zunächst hat man oft einfach Salzsäure ins Wasser geschüttet, die simuliert die Wirkungen von CO2 aber höchst unzureichend, es muss auch Kohlenstoff ins Wasser.

Darauf wies Christopher Cornwall (University of Tasmania) vor einiger Zeit hin, er erarbeitete Richtlinien, sie haben viel geholfen. Aber es gibt nach wie vor deutliche Defizite beim Design der Experimente, Cornwall hat es bemerkt, als er nun 465 Studien aus den Jahren 1993 bis 2014 durchmusterte und vor allem dorthin sah, wo das Wichtigste steht, in den Methodenteil (Journal of Marine Sciences 8.7.): Da wird oft mit Tanks gearbeitet, die untereinander verbunden sind – man sollte aber zum Vergleich und zur Kontrolle getrennte haben –, bisweilen ist auch jeder nur mit einem einzigen Versuchstier besetzt: In 95 Prozent der Studien findet Cornwall methodische Defizite, dazu zählen auch die 21 Prozent, in denen er gar nichts fand, „keine Details des experimentellen Designs“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.09.2015)

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