Alzheimer ist möglicherweise übertragbar

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Befunde an längst verstorbenen Patienten mahnen Hirnchirurgen zu höchster Vor- und Umsicht.

Wie kann man nur Gehirne Verstorbener verzehren? Das war die Reaktion, als Ende der 1950er-Jahre klar wurde, wo Kuru herkam, ein unheilbares Leiden, das Gehirne zu Schwämmen durchlöchert und auf Papua-Neuguinea 3000 der 30.000 indigenen Fore den Tod gebracht hat. Zu ihrer Kultur gehörte der rituelle Verzehr der Gehirne. Man schüttelte den Kopf darüber, vor allem in der gehobenen westlichen Medizin, und dann eilten erst Forscher und dann auch Praktiker zu Patienten – und wollten sie mit Gehirnen Verstorbener kurieren.

Dabei ging es um Kleinwüchsigkeit, das Heilmittel hieß Wachstumshormon, der englische Name verriet seine Herkunft ganz offen: cadaver-derived human growth-hormone, c-hGH. Das wurde Hirnanhangdrüsen Verstorbener entnommen und kleinwüchsigen Kindern gespritzt, 30.000 weltweit. 1985 brach man es ab, erste Behandelte zeigten eine Krankheit wie Kuru – Creutzfeldt-Jacob –, insgesamt starben 6,8 Prozent daran. Kuru und Creutzfeldt-Jacob sind Prionenkrankheiten, bei denen sich Proteine falsch falten und andere infizieren. Diese waren in manchen Hirnanhangdrüsen.

Ähnlich wie Prionen?

Die Opfer sind relativ jung gestorben, lang bevor die Alterskrankheiten des Gehirns kommen. Alzheimer etwa, auch dieses Leiden ist unheilbar, man kennt seine Ursache nicht, man kennt nur zwei Charakteristika: In den Gehirnen bilden sich Plaques aus Amyloid-β-Protein und Ablagerungen von Tau-Protein. Und in Gehirnen von acht Menschen, die vor langen Jahren an CJD durch c-hGH zu Tode gekommen waren, fand Zane Jaunmuktane (London) nun ein Zeichen von Alzheimer, Amyloid-β-Protein-Plaques (Nature 9. 9.). Das unterstützt einen aus Tierversuchen gewonnenen Verdacht: Diese Plaques könnten sich verhalten wie Prionen.

Eine Gewissheit ist das nicht – dazu müsste man Versuchstieren Hirnmaterial von c-hGH-Opfern spritzen –, und es hieße auch nicht, dass Alzheimer auf irgendeinem breiten Weg von einem Menschen auf einen anderen kommen könnte. Sondern nur auf einem sehr spezifischen: über Operationswerkzeug von Hirnchirurgen. Vor diesem Risiko hat auch Stanley Prusiner gewarnt, der in den 1980er-Jahren die Prionen entdeckt und nun eines identifiziert hat, das zu Multisystematrophie führt, einer Krankheit, die Parkinson ähnelt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.09.2015)

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