Wie sich Wiens Gewässer mit der Zeit wandelten

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Umwelt. Lang wusste man nur wenig über die Donau und die zahlreichen kleineren Flüsse und Bäche in Wien. Deren wechselhafte Geschichte haben Forscher nun aufgearbeitet und präsentieren die Ergebnisse in einer Ausstellung.

Nach der ersten Türkenbelagerung Wiens 1529 brauchte man viel Holz, um Ziegel zu brennen. Es galt, die Stadt zu einer Festung auszubauen und zu schützen. Dadurch waren die Auwälder im Umfeld plötzlich wirtschaftlich wertvoll.

Damals veränderte sich aber auch das Klima. Häufige Regenfälle brachten Hochwasser, und das veränderte bei jeder Überschwemmung die Landschaft. Inseln tauchten auf, wuchsen, schrumpften oder verschwanden. Das brachte einen 112 Jahre dauernden Streit der Eigentümer, dem Stift Klosterneuburg und dem Wiener Bürgerspital, der über alle Instanzen bis zum höchsten Reichsgericht ging. Denn in der sich rasch verändernden Landschaft ließ sich nicht klar festmachen, was wem gehört.

„Dimension wie Hypo-Prozess“

„Von der Dimension her war das der Hypo-Prozess des 16. und 17. Jahrhunderts“, sagt der Umwelthistoriker Christoph Sonnlechner vom Archiv Wien. Gemeinsam mit einem Team um Verena Winiwarter von der Fakultät für interdisziplinäre Forschung und Fortbildung der Uni Klagenfurt sowie Hydrobiologen von der Wiener Boku untersuchte er, wie sich Wiens Gewässer im Lauf der Zeit verändert haben. Denn dass man alles über Wien und seine Flüsse wisse, sei ein Irrtum: Die Geschichte der Gewässer sei bisher kaum erforscht worden. Das hat man in jahrelanger, akribischer Kleinarbeit nun geändert.

Im interuniversitären Projekt Enviedan untersuchten die Forscher, wie sich die Donau seit dem 16. Jahrhundert entwickelt hat. Im Folgeprojekt, Urbwater, wurde die Geschichte kleinerer Flüsse wie die des Wienflusses, der Liesing oder der Als verfolgt. Einige seiner Erkenntnisse präsentiert das Wissenschaftlerteam nun bis 26. Februar 2016 in einer Ausstellung (siehe Infokasten).

Von der Gegenwart ausgehend rekonstruierten die Wissenschaftler mithilfe von Karten, historischen Daten, geologischen Informationen und archäologischen Funden Schritt für Schritt die Vergangenheit. Die Quellen dazu kamen nicht nur aus heimischen Archiven. Auch in Florenz oder Budapest gab es etwa Karten zum Festungsbau in Wien, auf denen auch Gewässer abgebildet waren.

Gemenge von Stadt und Land

Das Bild, das sich formte, überraschte selbst die Forscher: Über Jahrhunderte prägten neben der Donau viele kleinere Bäche und Flüsse das Stadtbild – ein dynamisches Gemenge von Stadt und Land, das die Donau im Wiener Raum seit der letzten Eiszeit gebildet hatte.

Die kleineren Wasserläufe wurden vielseitig genutzt, etwa auch, um den Stadtgraben zu reinigen. Die Wienerwaldbäche dienten und dienen – bis heute – als wichtiger Teil der Kanalisation. Von der vielfältigen Wasserlandschaft ist mittlerweile allerdings wenig über.

Der Wiener Arm, der heutige Donaukanal, war in Renaissance und Neuerer Geschichte eine Lebensader für die Stadt. Hier luden Händler Obst und Baumaterial ab oder brachten Fisch auf die Märkte. Es war friedlicher als auf dem Hauptarm. Dort ertranken immer wieder Menschen, die bei Fähren über Bord gingen, oder Ware trieb im Strom davon.

Allerdings entfernte sich der Hauptarm immer weiter vom Zentrum Richtung Osten. Das wollten Landesherr und Stadtregierung verhindern. „Man wollte nicht, dass der Wiener Arm versandet, weil damit der Transportweg zur Stadt gefährdet gewesen wäre. Zugleich wollte man die Donau als militärische Barriere nutzen“, so Sonnlechner. „Die Wiener scheuten also keine Kosten und Mühen, um die Donau zu zähmen. Unfassbare Summen wurden aufgewendet, um den Fluss zurückzuleiten“, sagt der Forscher. Allerdings ohne Erfolg. „Die Dynamik der Donau brachte immer wieder alles durcheinander.“ Schließlich musste man der Natur ihren Lauf lassen. Mit bekanntem Ausgang: Heute liegt Wiens Zentrum nicht mehr an der Donau, sondern vielmehr am Donaukanal, der in den vergangenen Jahren wieder mehr belebt wird.

Ein ständiges Problem der vergangenen 500 Jahren bis heute sind die zahlreichen Hochwasser im Raum Wien. Insbesondere mit der Kleinen Eiszeit ab Mitte des 16.Jahrhunderts gab es immer mehr Regen, das Wasser riss Brücken weg – manche fast jährlich – und überflutete Siedlungen. Im Winter gab es immer wieder Eisstöße: Eis schoppte sich im Fluss zu mehrere Meter hohen Barrieren zusammen und prallte mit zerstörerischer Wucht gegen Bauten und Gebäude. Allein von 1768 bis 1789 sind 36 Hochwasser überliefert, sieben davon extreme.

Um die Flüsse und Bäche zu regulieren, wurden seit dem 14.Jahrhundert sogenannte Wasserkünstler aus dem Ausland geholt: etwa aus Dresden, von wo sie Erfahrungen mit den Überschwemmungen an der Elbe mitbrachten. Sie sollten das Problem mit wasserbaulichen Maßnahmen in den Griff bekommen. Klappte es mit der Kunst, das Wasser zu beherrschen nicht, wurden sie mitunter auch wieder davon gejagt.

Auf Schiffen Getreide mahlen

Entlang der Bäche, etwa an der Liesing oder am Wienfluss, gab es mitten in der Stadt unzählige Mühlen. Um die Energie nutzen zu können, wurden Mühlbäche gegraben und Wehre errichtet. Da sich die Flüsse aber ständig veränderten, nutzte man auch mobile Mühlen: Das Getreide für die Bevölkerung wurde von Schiffen aus gemahlen. Diese konnten nicht nur den Ort wechseln, wenn sich der Fluss wandelte, sondern sich auch wechselnden Wasserpegeln anpassen.

Von 1870 bis 1875 wurde die Donau schließlich umfassend reguliert und entsprach dann weitgehend dem heute bekannten Bild. Die Besiedelung im Umland nahm sprunghaft zu. Doch die Dynamik der Natur endete damit nicht, sagt Projektleiterin Verena Winiwarter. Für sie wurden die Wiener durch das Wasser ebenso diszipliniert wie sie es selbst disziplinierten.

IN KÜRZE

Die Geschichte von Wiens Gewässern wurde in den zwei Forschungsprojekten, Enviedan und Urbwater, unterstützt vom Österreichischen Wissenschaftsfonds FWF, aufgearbeitet. Bis 26. Februar 2016 werden ausgewählte Erkenntnisse in einer Ausstellung am Wiener Stadt- und Landesarchiv präsentiert. Zu besichtigen ist die Schau im Gasometer D in Simmering (Zugang über Gasometer A) von Montag bis Freitag von 9 bis 15.30 Uhr und am Donnerstag bis 19 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.09.2015)

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