Käfer frisst Schädlingspflanze: Darf er das?

Ophraella communa
Ophraella communa (c) Wikipedia
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Das als Ragweed bezeichnete Beifuß-Taubenkraut zählt zu den aggressivsten allergischen Pflanzen. Ein Käfer könnte diese dezimieren – aber eine Ansiedelung in Österreich ist nicht so leicht.

Liegt die Lösung bei einem Käfer? Beim Ophraella communa aus der Familie der Blattkäfer, der die Blätter der Ragweedpflanzen frisst und diese dezimiert? Gerhard Karrer vom Institut für Botanik der Bodenkultur-Uni bremst da vorschnelle Erwartungen: Erstens ist der Käfer noch nicht in Österreich verbreitet, und zweitens ist dessen Ansiedelung nach den EU-Normen nicht so leicht möglich.

Für einen großen Personenkreis sind nun – bis Anfang Oktober – die letzten quälenden Tage im Jahr angesagt: Allergische Rhinitis (Niesen, Schnupfen), Konjunktivis (Rötung der Augenbindehaut), Asthma bronchiale (Atemnot) und Quaddeln (Schwellungen der Haut) sind die Auswirkungen der Ragweedallergie. Nach statistischen Erhebungen würden 30 Prozent der Bevölkerung auf Pollen des Ragweeds (Ambrosia) reagieren, sagt Karrer, und 30 Prozent dieser Allergiker an Asthma erkranken. Damit wären in Österreich mehr als 700.000 Personen betroffen.

Der eingangs zitierte Ophraella communa kommt aus Nordamerika und wurde erstmals 2011 in der Umgebung des Mailänder Flughafens aufgespürt. Seit damals vermehrt sich der Käfer – Ragweed fressend – in der Poebene und bis in den Tessin. Nach dem EU-Regulativ muss das Aussetzen eines derartigen Insekts abseits der natürlichen Verbreitung einem langwierigen Genehmigungsverfahren unterzogen werden. Derzeit wird in der Schweiz in Hochsicherheitslabors überprüft, ob nicht unerwartete Auswirkungen mit dem Aussetzen des Käfers in für ihn fremde Kulturen verbunden sind.

Denn eines ist bekannt: Der bis zu vier Millimeter lange und zwei Millimeter breite Käfer (die Weibchen sind etwas größer) könnte im Fall, dass kein Ragweed mehr vorhanden ist, auch andere Pflanzen dezimieren. „Da müsste man aufpassen, ob man sich nicht Schlimmeres einhandelt“, so Gerhard Karrer. In erster Linie wäre die Ambrosia maritima (Meerambrosie) davon betroffen, die in Mittelmeerländern beheimatet und als Heilpflanze in Verwendung ist. Dann aber würde er sich mit großer Wahrscheinlichkeit auf die Sonnenblume stürzen.

Aus den USA eingeschleppt

Ragweed selbst wurde ebenfalls aus Nordamerika nach Europa eingeschleppt. Erstmals dokumentiert wurde Ragweed in Europa 1883, ab den 1960er-Jahren vollzog sich eine starke Ausbreitung. Die Pflanze bevorzugt ein wärmeres Klima und gedeiht auch auf kargen Böden. In Europa ist sie im Osten und Südosten verbreitet, in Österreich sind das Kärntner Becken, die Südsteiermark, Burgenland, Wien und Niederösterreich vom Osten bis zum Manhartsberg die am stärksten betroffenen Regionen. Man nimmt an, dass Ragweed zwischen 1920 und 1930 über Hilfslieferungen aus den USA nach Ungarn – das in Europa am stärksten betroffene Gebiet – eingeschleppt wurde. Nördlich der deutschen Mainlinie gibt es kein Ragweedproblem.

Die Einbürgerung vollzieht sich in erster Linie entlang der Hochleistungsstraßen. Verantwortlich ist laut Karrer der starke Transport von ungereinigtem Saatgut vom Osten in den Westen Europas. Im kleineren Ausmaß sind Ragweedsamen im ebenfalls ungereinigten Vogelfutter vorhanden. Neben den Straßenbanketten ist Ragweed als Ackerunkraut auch in Sojakulturen, Sonnenblume, Kürbis, Zuckerrübe und seit Kurzem auf dem Erdäpfelacker zu finden. Der menschliche Körper reagiert auf acht bis zehn Pollenkörner pro m3Luft und Tag. Eine einzige Ragweedpflanze, die eineinhalb bis über zwei Meter hoch werden kann, produziert 100 Millionen bis drei Milliarden Pollenkörner, die mit dem Wind über große Entfernungen verschleppt werden.

Diese Dimension rechtfertigt den international hohen Stand der Ragweedforschung. Von 2005 bis 2011 wurden in einer österreichischen Initiative Maßnahmen gegen die Ausbreitung der Pflanze erarbeitet und mit einem multidisziplinären Projekt abgeschlossen. Dabei waren neben den botanischen Disziplinen Morphologie, anatomische Phänomene der Pflanze, Populationsbiologie und Populationsgenetik sowie Ausbreitungsbiologie die Allergiewissenschaft der Medizin und die Sekundärstoffchemie vertreten. Die Koordination lag bei Botaniker Gerhard Karrer.

Als Ergebnis wurde 2011 die Empfehlung ausgegeben, die Straßenbankette möglichst spät zu mähen, um das Aufkommen des Ragweed zu behindern (siehe Bericht unten). Die Straßenmeistereien beteuern, dass sie die Empfehlung befolgen, doch eine Überprüfung zeigt, dass dies nicht stimmt.

Kampf mit speziellen Bakterien

Seit 2013 gibt es ein vom Land Niederösterreich gefördertes Ragweedprojekt, bei dem das Austrian Institute of Technology (AIT) Tulln hauptverantwortlich ist. Dabei sollen Bakterienstämme aus der natürlichen Pflanzenumgebung gefunden werden, die das Ragweedwachstum reduzieren. Im Laborversuch wurden derartige pflanzenassoziierte Bakterien isoliert und in diesem Jahr in einem begrenztem Feldversuch getestet. Ergebnisse liegen noch nicht vor. Konflikte mit dem Gentechnikgesetz gibt es nicht, da es sich um einheimische Bakterien handelt.

Im Februar 2013 lief die auf vier Jahre angelegte Smarter Cost Action der EU mit dem Ziel an, Erkenntnisse über die technische Machbarkeit einer Ragweedbekämpfung zu liefern. Die bisher letzte Tagung, bei der internationale Forschungsergebnisse ausgetauscht wurden, fand im März dieses Jahres in Wien statt.

LEXIKON

Ragweed breitet sich seit 50 Jahren massiv im Osten und Südosten Europas aus. Die Pflanze, die trockene und karge Böden bevorzugt, ist im September/Oktober für empfindliche Menschen einer der aggressivsten allergenen Auslöser und verlängert die Pollensaison.

Die Bekämpfung des Ragweeds ist Ziel europäischer Forschungsinitiativen. In Österreich leitet Gerhard Karrer vom Department of Integrative Biology & Biodiversity Research der Boku Wien mehrere Ragweed-Arbeitskreise.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.09.2015)

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