Ein Kind mit Behinderung? Rasch ein nächstes!

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Die Biologie schlägt auch in modernen Gesellschaften stark durch: Wenn ein Kind zur Welt kommt, das weniger fit ist im Sinn der Evolutionstheorie, entscheiden sich Eltern früher für noch ein Kind.

Wenn ein Kind geboren ist, dann zieht es, quer durch die Zeiten und Kulturen, alle Liebe und Pflege der Eltern auf sich. Na ja, es hängt viel davon ab, wo was für ein Kind geboren ist: In manchen Kulturen, vor allem denen Ostasiens, herrscht nackte Gewalt gegen Unerwünschte, neugeborene Mädchen sind von Infantizid bedroht bzw. noch nicht Geborene von selektiver Abtreibung.

Ähnliches findet sich in viel milderer Form etwa bei den Gabbra, die als Nomaden durch Nordkenia ziehen: Auch bei ihnen sind eher Söhne erwünscht – und der Abstand zwischen Geburt eine Kindes und nächster Schwangerschaft ist viel kürzer, wenn ein Mädchen zur Welt gekommen ist. In einen neugeborenen Burschen investieren beide Eltern mehr, vor allem die Mütter tun es, und vor allem sie steuern auch den Abstand zwischen den Schwangerschaften, etwa durch Stillen, es kann den Eisprung verhindern.

Na ja, das mag in archaischen Gesellschaften so sein, aber bei uns? Auch da schlägt die Biologie durch, und sie will bei der Reproduktion zweierlei: möglichst viele Kinder und möglichst kräftige, die sich wieder optimal vermehren und die Gene in die übernächste Generation bringen. Das postuliert zumindest die Evolutionstheorie bzw. eine ihrer Unterabteilungen, sie heißt schwer übersetzbar Life History und meint, dass das ganze Leben so angelegt wird, dass es sich höchstmöglich vermehrt.

Mehr Zuwendung für Gesündere

Dazu gehört etwa, dass Kinder mit einer Behinderung – sei sie körperlich oder mental – oft weniger Zuwendung von den Eltern erhalten, es hat sich sogar an Zwillingen gezeigt, von denen der eine kränklich ist, ihm widmen sich Eltern nicht so wie dem gesunden. Dieser hat eine höhere Fitness im Sinn der Evolutionstheorie: höhere Chancen, die Gene der Familie in die nächste Generation zu bringen.

Und dazu gehört auch, dass Mütter von Kindern mit einer Behinderung früher abstillen und früher das nächste Kind bekommen, das hat schon Thomas Bereczkei (Uni Pecs) an 590 Ungarinnen gezeigt, die in den späten 1980er-Jahren ihr erstes Kind hatten: Je schlechter der Gesundheitszustand des gerade Geborenen in den Augen der Mütter war, desto rascher kam das nächste Kind (Evolution and Human Behavior 22, S. 197).

Das gleiche Bild findet nun David Waynforth (Bond University, Australien) in England, wo er Langzeiterhebungen seit den 1970er-Jahren ausgewertet hat: „Zehn Prozent der Eltern eines Kindes mit ernsten Gesundheitsbedingungen hatten nach 24 Monaten ein nächstes Kind, bei Eltern mit Kindern ohne Probleme waren es nur fünf Prozent“ (Biology Letters 13. 10.). Waynforth verbindet seinen Befund mit der Hoffnung, dass „medizinisches Personal“ gegensteuern und Eltern von Kindern mit Behinderung überzeugen kann, „länger zu warten“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.10.2015)

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