Krieg gegen den Terror? Zu viel der Ehre!

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Die Attacke von Paris erinnert an Massaker der Steinzeit, in der keiner am Leben blieb, der in Reichweite von Aggressoren kam. Alle Versuche, militante Gewalt durch Recht zu domestizieren, sind damit infrage gestellt.

Als das Dorf Schletz, 50 Kilometer nördlich vom heutigen Wien, vor 6000 Jahren überfallen wurde, blieb keiner der 200 Bewohner am Leben, kein Mann, kein Kind, keine Frau, doch, die gebärfähigen wurden mitgenommen, vielleicht waren sie der Grund für den Überfall. So war das damals überall in Europa, und nicht nur dort: Es gab keine Kriege, es gab Gemetzel: „Also gewannen sie die Stadt, und verbannten alles mit der Schärfe des Schwerts, Mann und Weib, jung und alt, Ochsen, Schafe und Esel.“ So umschrieb Luther, was nach dem Fall der Mauern von Jericho geschah (Josua 6, 21). Und so blieb es, jahrtausendelang, marodierende Horden zogen herum, auch im Namen von Religionen, etwa im 30-jährigen Krieg, das Blut gefriert einem in den Adern über der Lektüre des „Simplicissimus“.

Nicht jeder darf töten/getötet werden

Diese Gräuel führten endlich zu Versuchen, ein Recht auch im Krieg zu etablieren – im 17. Jahrhundert legte Hugo Grotius die Grundlagen –, zuvor schon war er in gewisse Formen gebracht worden: Ein Krieg musste erklärt werden – mit welchen Worten auch immer, sei es mit denen des Götz –, dann traten Kämpfer gegeneinander an, gekennzeichnete: Männer in Uniformen, Kombattanten. Die durften Männer in anderen Uniformen töten bzw. von ihnen getötet werden, aber Nichtkombattanten waren geschützt.

Wie die Kombattanten übereinander herfielen, blieb allerdings so unerträglich, dass der Schweizer Geschäftsmann Henry Dunant, der 1859 zufällig in die Schlacht von Solferino geriet und das Elend der Verwundeten sah, zur Linderung des Ärgsten das Rote Kreuz gründete. Kurz darauf begann die Staatengemeinschaft mit dem Aufbau eines breiten Regelwerks (Genfer Konventionen), der Krieg war domestiziert, soweit er sich eben vom Recht domestizieren lässt. Nicht lang: Die zentrale Unterscheidung zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten wurde im Zweiten Weltkrieg zerbombt und eingeäschert, von den Deutschen, in Coventry legten sie erstmals eine ganze Stadt in Schutt und Asche, in Oradour, und nicht nur dort, metzelten sie die Bevölkerung eines ganzen Dorfes nieder. Immerhin, zumindest im Nachhinein zeigte das Recht noch einmal seine Kraft: In den Nürnberger Prozessen wurde nicht nur über Verbrechen im Krieg geurteilt, sondern auch über das Verbrechen, den Krieg vom Zaun gebrochen zu haben. Und als Schatten hielt das Recht, auch noch bis zum Massaker von My Lai 1968: Als es sich nicht mehr vertuschen ließ, kamen einige der US-Mörder vor Gericht, das Verfahren war eine Farce, das Urteil auch, immerhin gab es noch ein Verfahren und ein Urteil.

Aber spätestens dort, in Vietnam, war es auch vorbei mit dem alten Krieg, der uralte Totschlag kam wieder: Der Guerrillakämpfer machte sich unkenntlich, er trug keine Uniform, tauchte auf und ab, attackierte Angehörige der südvietnamesischen und der US-Truppen, sonst niemanden, so weit hielt die Unterscheidung zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten. Die Strategie brachte Erfolg, aber noch war die Welt klar geteilt – Ost/West –, auch das hielt die Kriege in Grenzen, sie wurden als Stellvertreterkriege geführt. Dann kollabierte die eine Supermacht, die Sowjetunion, sie wollte sich wenigstens im Inneren halten, mit blutigster Staatsgewalt, im Kaukasus vor allem, viele Tschetschenen lernten dort das Handwerk, mit dem sie sich heute für den IS verdingen.

Die andere Supermacht übernahm die Rolle des Weltpolizisten: „Mission accomplished“, meldete George W. Bush am 1. Mai 2003: Saddam Hussein war ausgeschaltet, seine Armee auch, aber ihre Mitglieder verschwanden nicht, sie sind kräftig mit dabei bei den schwarzen Fahnen, die immer blutiger geschwungen werden, je massivere Kriegsmaschinerien gegen sie auffahren.

Arbeiter in Vorortzügen von Madrid

Welche Mission hielt Bush für beendet? Die der Ausschaltung eines Aggressors, der auf einer völlig neue Art attackiert und nicht auf irgendeinen Sicherheitsapparat irgendeiner Macht zielt, sondern auf x-beliebige Menschen? 9/11 in New York war der erste große dieser Schläge, manche sahen ein Symbol der Weltmacht angegriffen, sie wurden eines Schlechteren belehrt beim Anschlag auf die Vorortezüge von Madrid, in denen Arbeiter auf dem Weg in den Betrieb saßen.

Exakt so, wie nun in Paris Gäste beim Italiener saßen oder beim Japaner oder beim Konzert. Auch dem Anschlag auf „Charlie Hebdo“ sprachen manche noch Motive zu – Kränkung durch Karikaturen –, jetzt ist nichts nachzuvollziehen: Rache für Syrien? An Restaurantgästen und Straßenpassanten! Die Gewalt ist wieder dort, wo sie in Schletz war, wer in ihre Fänge gerät, wird niedergemacht. Allerdings gibt es für die Totschläger nichts mitzunehmen (Geld schon, für Gottes Lohn kämpfen diese Gotteskrieger so wenig, wie es die Söldner im 30-jährigen Krieg taten). Außer der Ehre, die sie sich selbst zusprechen: Sie seien Soldaten, und sie seien im Krieg. Das sind sie nicht, sie sind Totschläger, die totschlagen, wer immer in ihrer Reichweite ist bzw. in der Schussweite ihrer Kalaschnikows.

Wer ihnen nun den Krieg ansagt – wie Frankreichs Präsident –, gar den „totalen Krieg“– wie Frankreichs früherer Präsident –, tut ihnen zu viel der Ehre an. Dieses Morden hat mit Krieg nichts zu tun, es ist nichts als Morden. Macht das einen Unterschied? O ja.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.11.2015)

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