Gemeinsamer Kampf der Disziplinen

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THEMENBILD: WIEN / MUSEUMSQUARTIER /HELDENPLATZ /HOFBURG(c) APA/HELMUT FOHRINGER
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Kultur. Am Kunsthistorischen Museum Wien arbeiten Kunsthistoriker und Naturwissenschaftler eng zusammen, um die Werke nicht nur zu verstehen, sondern auch vor dem Verfall zu bewahren.

Maximilian I. zielt mit der Lanze, der Gegner stürzt vom Pferd. Doch es geht dabei nicht um Leben und Tod. „Höfische Turniere sind das spätmittelalterliche Pendant zu den heutigen Formel-1-Rennen“, sagt Stefan Krause, Kurator an der Hofjagd- und Rüstkammer des Kunsthistorischen Museums (KHM). Es geht darum, möglichst elegant zu gewinnen – und dabei gesehen zu werden. Damals wie heute gab es dabei aber auch immer wieder Verletzte oder Tote.

Da den Kaiser diese Spiele faszinierten, ließ er sie dokumentieren: in einer Turnierhandschrift aus insgesamt 255 etwa 20 Quadratzentimeter großen Zeichnungen. Das reich illustrierte Manuskript zu den Kämpfen des Freydal, so das Alter Ego des Kaisers, sollte zugleich sein Leben verherrlichen. Bis heute wurde es wissenschaftlich nicht umfassend untersucht; es lagerte, vor Licht und Schadstoffen aus der Luft geschützt, in einem Tresor.

Geheimnisse lüften

Diesen hat Stefan Krause nun für die Forschung aufgeschlossen. Er will in den nächsten Jahren die Geheimnisse hinter den Bildern der 26 anonymen Künstler lüften. Um auch ins Innere der Bilder blicken zu können, helfen Naturwissenschaftler mit bildgebenden Verfahren. Mit ihnen arbeiten die Kunsthistoriker und Restauratoren meist eng zusammen, wenn sie die Kulturgüter am KHM wissenschaftlich beleuchten.

Welche großen wissenschaftlichen Anstrengungen Museen unternehmen, um ihre Schätze weiter zu erforschen, ist oft wenig bekannt. Das KHM etwa ist die größte außeruniversitäre Forschungseinrichtung für kunsthistorische Fächer. 75 Wissenschaftler arbeiten hier hinter den Kulissen. Geforscht werde allein, im Team und in Kooperationen mit Einrichtungen im In- und Ausland, so Direktorin Sabine Haag bei der Eröffnung der diesjährigen Forschungskonferenz. Seit drei Jahren zeigt das KHM jährlich unter dem Titel „Nahaufnahme“, was seine Forscher leisten. Die Ergebnisse bilden oft die Basis für neue Ausstellungen und Publikationen.

Krauses Arbeit ist nur ein Beispiel für die Disziplinen übergreifende Forschung im Museum. Das Themenspektrum ist deutlich breiter. So erweitern etwa auch die Wiener Gemäldegalerie und die Kaiserliche Wagenburg ständig ihr Wissen über ihre Exponate. Wie haben sich die Sammlungen im Wandel der Zeit entwickelt? Welche neuen Erkenntnisse fördern Restaurierungen zutage?

Schätze näher erforschen

Der Athlet von Ephesos etwa wurde bereits vor mehr als 100 Jahren gefunden und nach Wien gebracht. Die 234 Fragmente – Forscher gehen davon aus, dass er bei einem Erdbeben zerstört wurde – wurden hier wieder zusammengesetzt. Das gelang mit einer für die damalige Zeit bemerkenswerten Technik: „Einzelne Teile wurden mit Schrauben auf Messingblechen fixiert. Die so zusammengefügten Fragmentgruppen wurden auf ein Skelett aus Eisenstangen montiert, das Innere der Statue bis zum Hals mit Mörtel gefüllt“, berichtet Georg Plattner, Direktor der Antikensammlung, die den Athleten bis vor Kurzem beherbergte.

Bis vor Kurzem? Der „Schaber“, wie Kunsthistoriker die Skulptur nennen, weil sich der Athlet nach dem Sport die Haut vom Gemisch aus Öl und Sand reinigt (Öl, weil man sich vor dem Bewerb den Körper eingerieben und Sand, weil dieser daran geklebt hat), ist nämlich mittlerweile „verreist“. Er steht nun neben seinem 1996 an der kroatischen Küste gefundenen Zwilling im Getty Museum in Los Angeles. Der Doppelfund gilt als einzigartiger Glücksfall; weil das Material gebraucht wurde, wurden sonst viele Skulpturen eingeschmolzen.

Transportlösung inklusive

Damit der Transport in die USA möglich war, wurde die Skulptur genau erforscht – man wollte sichergehen, dass sie dabei nicht auseinanderfällt. Und auch hier gab es ein Miteinander von Kunst und Technik: Der Athlet wurde geröntgt, so Innengerüst und Bronzefragmente geprüft. Endoskopische Aufnahmen zeigten keine Korrosionen. Und auch der Mörtel im Inneren hielt nach der langen Zeit gut dicht.

Der Befund nach Abschluss der Untersuchungen: transportfähig, allerdings nur in bestmöglicher Verpackung. Und diese wurde ebenfalls gleich im Projekt entwickelt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.11.2015)

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