Ein Knacks für das ganze Leben

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Zoologie. Werden Schimpansenkinder sehr früh von der Mutter getrennt, können sie soziale Defizite auch als Erwachsene nie aufholen. Das zeigt eine Studie an Zoo- und Laboraffen.

Baxter-Affen wurden sie in den Medien genannt: circa 40 Schimpansen, die seit den 1970er-Jahren den Pharmafirmen Immuno und dann Baxter in Wien als Versuchstiere dienten. 2001 übersiedelten sie aus der Einzelhaltung in den Safaripark Gänserndorf, wo sie resozialisiert wurden. Noch heute leben die Tiere dort im Affenrefugium von Michael Aufhauser.

Signe Preuschoft vom Competence Center Apes, Vier Pfoten, erklärte 2007 der „Presse“: „Die Affen haben Jahrzehnte ihres Lebens im Dienste der biomedizinischen Forschung verbracht, jetzt ist es an uns, uns erkenntlich zu zeigen. Sie brauchen wissenschaftliche Betreuung, um ihre psychischen und sozialen Störungen zu überwinden.“ Langsam wurden die Tiere an das Gruppenleben gewöhnt, das ihrer Natur entspricht. Einzeltiere kamen mit einem zweiten Affen ins Gehege, wenn sie sich gut verstanden, kam ein dritter dazu usw. Die Forscher beobachteten schon damals, dass jene Tiere Schwierigkeiten mit sozialen Beziehungen hatten, die früh in der Kindheit von der Mutter getrennt worden waren.

Elfriede Kalcher-Sommersguter, Zoologin der Uni Graz, forschte auch in Gänserndorf. „In freier Wildbahn wachsen Schimpansen die ersten fünf Lebensjahre sehr eng mit der Mutter auf, werden viel getragen und gesäugt“, erzählt sie heute. Die Labortiere wurden aber meist noch jünger aus der Wildbahn geholt. Seit den 1950er-Jahren war es üblich, erwachsene Affen zu töten, um Jungtiere für Zoos und Labors zu bekommen. „Allein in Sierra Leone wurden zwischen 1959 und 1979 circa 4000 Schimpansenkinder entnommen: Pro Kind wurden fünf bis zehn Adulte getötet“, sagt die Zoologin.

Doch der Zeitpunkt der Trennung von der Mutter hat einen großen Einfluss auf das ganze restliche Leben – ganz ähnlich wie beim Menschen. „Wenn die Trennung vor dem zweiten Lebensjahr passiert, können sie gewisse soziale Defizite als Erwachsene nicht aufholen“, sagt Kognitionsbiologe Jorg Massen von der Uni Wien.

Soziale Beziehungen kann man bei Schimpansen gut erfassen: Wer in der Gruppe integriert ist, beginnt seine „Mitaffen“ zu lausen. Grooming heißt diese soziale Fellpflege, die für viele Primaten genauso wichtig ist wie für uns die tägliche Kommunikation mit Mitmenschen. „Tiere, die vor dem zweiten Lebensjahr von der Mutter getrennt wurden, hatten dieses Verhalten oft unzureichend gelernt. Sie führten auch als Erwachsene viel weniger soziale Fellpflege aus“, so Kalcher-Sommersguter .

Seit 50 Jahren im Zoo

Die Frage war seither: Waren die Baxter-Affen sozial gestört, weil sie so früh von der Mutter getrennt wurden oder auch, weil sie Jahrzehnte lang in Einzelhaltung gelebt hatten? Die Antwort lieferte nun der Vergleich mit anderen berühmten Schimpansen. Im Tierpark Arnheim in Holland beobachtete schon der Primatenforscher Frans de Waal diese Schimpansen. Sie leben in einer sozialen Gruppe, sind teilweise schon 50 Jahre alt und wurden als Kinder aus der Wildbahn entnommen, also von der Mutter getrennt. Im Fachmagazin „Scientific Reports“ veröffentlichten die holländischen und österreichischen Biologen das Ergebnis.

Wenn die Tiere bei der Trennung von der Mutter weniger als zwei Jahre alt sind, kann das Defizit bei sozialen Beziehungen nie wieder aufgeholt werden: egal, ob die Tiere in einer funktionierenden sozialen Gruppe wie im Zoo aufwachsen oder wie die Labortiere in Einzelhaltung. „Die Zootiere, die früh getrennt wurden, lernten zwar, die Nähe anderer Affen zuzulassen. Das gelingt den Labortieren nicht, anscheinend vertrauen sie anderen nicht. Doch sie alle führen später viel weniger soziale Fellpflege aus als Tiere, die mit ihrer Mutter aufwachsen konnten.“

LEXIKON

Grooming nennt man das Verhalten der sozialen Fellpflege bei Tieren. Es dient dem sozialen Zusammenhalt zwischen Paaren oder in einer Gruppe. Bei nicht menschlichen Primaten, wie Biologen zu Affen sagen, wird es umgangssprachlich als Lausen bezeichnet. Doch dabei geht es nicht nur um die Suche nach Ungeziefer, sondern vielmehr um den Körperkontakt zu Freunden und Familie. Auch bei Vögeln, Pferden und Rindern ist Grooming wichtig.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.11.2015)

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