Braunes Obst ess' ich nicht

Am Bauernmarkt, Obststand
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Biochemie. Jährlich werden Tonnen von Obst und Gemüse vernichtet, nur weil sie braun geworden sind. Sie wären aber noch genießbar. Der Mechanismus dahinter wird nun erforscht.

Laut Greenpeace wirft in Europa und Nordamerika jeder Haushalt pro Jahr 95 bis 115 Kilogramm Essen in den Abfall, davon vor allem Obst und Gemüse, das eigentlich noch genießbar wäre. Dazu kommt noch eine große Menge an Lebensmitteln, die im Einzelhandel aussortiert werden.

Nahrungsmittel, die nicht mehr ansehnlich sind, werden entsorgt. „Wenn man vorgeschnittenes Obst und Gemüse in Cellophan verpackt im Supermarkt kauft und es nicht am selben Tag verbraucht, dann unbedingt mit der Cellophanhülle im Kühlschrank lagern“, empfiehlt die Leiterin des Instituts für Biophysikalische Chemie der Universität Wien, Annette Rompel. Sie beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit der Bräunungsreaktion von Obst und Gemüse.

Die Cellophanverpackung hat in diesen Fällen nicht nur eine hygienische Funktion, sondern bewirkt auch, dass die Lebensmittel nicht so schnell verderben, unansehnlich werden, sich also verfärben und weggeschmissen werden. Aufgeschnittene Äpfel, Birnen oder Champignons verfärben sich in kürzester Zeit braun. Hässliches Obst wird ungern gegessen, auch wenn es keine gesundheitlichen Schäden nach sich ziehen würde. Da kommt das Sprichwort zum Tragen, dass das Auge eben mitisst.

Verantwortlich für die Braunfärbung ist ein spezielles Enzym in der Pflanze, die sogenannte Tyrosinase. „Wenn Sie ein Walnussblatt mit den Fingern zerreiben oder grüne Walnüsse schälen, dann färben sich Ihre Finger braun“, erklärt Annette Rompel. Auch das ist auf die Wirkung der Tyrosinase zurückzuführen.

Verteidigung gegen Raupen

„Dieses Braunwerden ist ein Verteidigungsmechanismus von Pflanzen. Es gibt Raupen, die vollgefressen verhungern, weil sie die Pflanzennahrung aufgrund der Tyrosinase nicht verdauen können und quasi mit vollem Magen verhungern“, so Matthias Pretzler, der an der vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Aufklärung der Struktur der pflanzlichen Tyrosinase unter der Leitung von Rompel mitgearbeitet hat. Die Forschungsergebnisse wurden vor Kurzem im Fachmagazin „Angewandte Chemie“ publiziert.

Annette Rompel ist dem Enzym schon seit Jahren auf der Spur. Mit modernen Methoden der Chromatografie und der Kristallografie ist es nun dem Wiener Forschungsteam gelungen, die Enzymstruktur aufzuklären. Um jedoch die Wirkungsweise eines Enzyms zu durchschauen, muss man auch herausfinden, worauf seine Aktivität basiert.

Sauerstoff notwendig

Wie sieht das aktive Zentrum aus und welcher Prozess steckt hinter der Enzymaktivierung? „Wie man die Bräunungsreaktion konkret steuern oder ausschalten kann, wissen wir noch nicht“, so Rompel. Daran wäre der Lebensmittelindustrie natürlich sehr gelegen. Zwei Bedingungen müssen vorhanden sein, damit die Tyrosinase arbeitet: Es braucht ein Substrat, das umgesetzt wird, das ist ein sogenanntes Phenol, sowie – und da kommt wieder die Cellophanverpackung von Obst und Gemüse ins Spiel – Luftsauerstoff.

Das Cellophan verhindert, dass die Lebensmittel mit Sauerstoff in Berührung kommen. Eine andere Möglichkeit ist, Gemüse und Obst ins Wasser zu legen und mit Zitronensäure zu beträufeln, damit es sich nicht verfärbt, bis man es weiterverarbeitet.

Tyrosinasen sind aber nicht auf Pflanzen beschränkt, auch im menschlichen Körper kommt eine Tyrosinasenform vor. Sie ist an der Synthese von Melanin, dem Hautpigment, beteiligt. Dadurch schützt sie uns vor den schädlichen UV-Strahlen. Wenn wir braun werden, wurden besonders viele Tyrosinasen aktiviert und Melanin produziert. Das menschliche Enzym steht auch im Verdacht, an der Ausbildung von Hautkrebs mitzuwirken. Daher wird die Tyrosinase als ein Marker für Melanome verwendet. Bislang ist die Bedingung jedoch noch nicht bewiesen, sondern reine Hypothese. Würde dies aber stimmen, könnte es für einen möglichen Therapieansatz genutzt werden.

Bei Stresshormonen aktiv

Worin dieses Enzym auf jeden Fall involviert ist, ist die Bildung der Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin, die aus der Aminosäure Tyrosin aufgebaut werden. Den Stoffwechselweg des Stresses zu verstehen, könnte wiederum neue Therapieansätze bewirken. „Interessant ist, dass ein Enzym so unterschiedliche Dinge im Körper steuern kann“, sagt Rompel.

IN ZAHLEN

95Kilogramm Essen, das eigentlich noch genießbar wäre, landet durchschnittlich in jedem Haushalt in Europa und Nordamerika jährlich im Müll. Ein Großteil davon ist Obst und Gemüse.

60Millionen Tonnen an nicht gebrauchten Lebensmitteln wandern jedes Jahr in der EU in den Abfall. Das entspricht 16 Prozent aller Lebensmittel, die an europäische Endkunden gelangen.

LEXIKON

Tyrosinase. Dieses Enzym ist ein Kupferprotein, das den ersten Schritt bei der Melaninproduktion in unserer Haut katalysiert. Bei Kupfermangel wird weniger Tyrosinase im Körper erzeugt, was zu einer verringerten Pigmentierung der Haut führt. Manche Organismen mit Albinismus haben eine veränderte Tyrosinase, oder das Enzym fehlt vollkommen. In Pflanzen verursacht sie das Braunwerden von beispielsweise Obst und Gemüse.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.12.2015)

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