Monstergruppen berechnen den Mondschein

Halbmond
Halbmond(c) BilderBox (BilderBox.com / Erwin Wodicka)
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Physik. Timm Wrase will, dass das Verständnis des Universums in einer einzigen physikalischen Theorie aufgeht. Bisher gibt es zwei konträre Ansätze. Die mögliche Lösung: Stringkompaktifizierung und Mondschein.

Die Mondscheinphänomene, die Timm Wrase vom Institut für Theoretische Physik der TU Wien berechnet, haben nichts mit dem Mond, der die Erde umkreist, gemein – oder beinahe nichts: Denn seine mathematischen Modelle, die er in den nächsten Jahren mithilfe des Österreichischen Wissenschaftsfonds FWF erstellt, tragen zum allgemeinen Verständnis der Welt, des Mondes und des Universums bei.

Der Reihe nach. Mondschein, oder moonshine, kann im britischen Englisch die Bedeutung haben, dass jemand Unsinn redet. Im amerikanischen Englisch wurde in der Prohibitionszeit in den 1930er-Jahren illegal gebrauter starker Alkohol als moonshine bezeichnet. Als im Jahr 1974 ein Mathematiker der Universität Berkeley zufällig einen Zusammenhang zweier völlig verschiedener mathematischer Gebiete – nämlich der Zahlentheorie und der Gruppen- oder Darstellungstheorie – entdeckte, versprach er demjenigen, der ihm das erklären könne, eine Flasche Jack Daniels – einen Moonshine-Schnaps.

Bei einem britischen Forscher, der 1978 zur Darstellungstheorie arbeitete, tauchte die Zahl 196.883 auf. Als er zufällig eine Veröffentlichung in einem anderen Gebiet, der Zahlentheorie, las, kam er auf die Zahl 196.884. Plötzlich erschienen ähnliche Zahlen in zwei unterschiedlichen Bereich. Er vermutete einen Zusammenhang. Kollegen meinten, seine Ausführungen seien Unsinn – moonshine talk. Seither arbeiten Forscher daran, diesen sogenannten Monstermondschein besser zu verstehen.

Physik hilft der Mathematik

Hier kommt die Physik ins Spiel, denn die Stringtheorie bietet eine Erklärung an: „Die Stringtheorie versucht, auch in der Physik zwei unterschiedliche Erklärungsansätze zusammenzufassen“, sagt Wrase. Denn Albert Einsteins allgemeine Relativitätstheorie, die die Gravitation und Anziehungskraft von Planeten beschreibt, und die Quantentheorie, die elektrisch-magnetische Kräfte und Atomkräfte beschreibt, passen theoretisch und experimentell noch nicht zusammen. Das Stringkonzept versucht das zu ändern und „verwendet dabei viele mathematische Strukturen, die Potenzial zur Vereinheitlichung haben“, sagt Wrase.

Wrase beschäftigt sich im FWF-Projekt konkret mit Stringkompaktifizierungen und Mondschein. Die Stringtheorie denkt in mehr als drei Dimensionen, oder Raumzeitrichtungen, also mehr als vor/zurück, hinauf/hinunter und links/rechts. Wenn man ein Blatt Papier zu einer Rolle aufwickelt und von Weitem betrachtet, sieht man einen Strich, der von links nach rechts geht – also nur eine Dimension. Aus der Nähe erkennen die Forscher eine zweite Dimension, wenn sie um die Rolle Papier im Kreis „herumlaufen“. Die Physiker wickeln diese extra Raumdimension dafür mathematisch auf, oder kompaktifizieren: „Dadurch finden wir Zusammenhänge zwischen der Zahlen- und Darstellungstheorie“, sagt Wrase.

Methodisch bleiben er und seine „Monstergruppe“, die er gerade zusammenstellt, auf theoretischer Ebene. Experimentell kann die Stringtheorie noch nicht nachgewiesen werden. Doch die Modelle helfen, das Universum zu beschreiben – auch den echten, scheinenden Mond: „Die Stringtheorie ist der beste Kandidat dafür, das Universum von seinem Anfang bis zum Ende, vom Kleinen bis zum Großen, in einer einzigen Theorie zu beschreiben“, so Wrase.

LEXIKON

Die Stringtheorie will die beiden konträren Modelle der Quantentheorie und der allgemeinen Relativitätstheorie zusammenführen. Die Stringtheorie geht von mehr als drei Raumzeitdimensionen aus, die zwar experimentell noch nicht nachgewiesen, aber theoretisch-mathematisch berechenbar sind. Bei der Kompaktifizierung werden die angenommenen Dimensionen aufgewickelt, also kompakt gemacht, etwa zu einem Kreis, der dann mit der realen Welt kompatibel ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.12.2015)

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