Ötzi bleibt Altersrekordhalter bei Tattoos

(c) EPA (Museo Archeologico Alto Adige/Ho)
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Der Mann aus dem Eis hat 61 Tätowierungen. Sie hatten medizinische Zwecke, sitzen an Akupunkturpunkten. Und sie sind die ältesten Tätowierungen: Bei noch älterer Haut aus Chile unterlief ein Datierungsfehler.

Viele Menschen schmücken sich heute, nicht immer zum Wohlgefallen anderer, mit Ornamenten und/oder Bildern auf der Haut: Tattoos. Der Name ist eher jung – Captain Cook hörte ihn im 18. Jahrhundert auf Inseln im Pazifik –, die Kunst selbst ist uralt, vermutlich die älteste aller Künste.

Man kann es nur vermuten, Haut fossiliert kaum, von unseren frühen Ahnen sind nur Knochen und Zähne geblieben. Haut hat sich erst später und nur unter besonderen Umständen erhalten, etwa wenn Körper mumifiziert wurden, mit Absicht oder von der Natur, bei ihr half entweder Eis oder extreme Trockenheit, beiden sind Dutzende uralte Tätowierungen zu danken, sie fanden sich rund um die Erde, vom russischen Permafrost bis zu afrikanischen und südamerikanischen Wüsten.

Viele kannte man lang schon, sie alle wurden – vom Alter her – in den Schatten gestellt –, als 1991 ein Gletscher in den Ötztaler Alpen den Mann aus dem Eis freigab, nach 5300 Jahren. Er war gut erhalten, aber die Zeit hatte ihm zugesetzt, und nicht nur sie: Ötzis Haut bzw. das was von ihr geblieben ist – die äußerste Schicht ist fast weg –, ist dunkel geworden, von Eisenoxiden aus Gestein und Kalziumphosphat aus Schafsmist, er war an einer Stelle zu Tode gekommen, an der Hirten ihre Herden trieben.

Gut für geschundene Gelenke

Trotzdem zeigte sich schon auf den ersten Blick, dass auch er Tattoos trug, ganz schmucklose allerdings, Kreuze und parallele Linien etwa. Die hatte er obendrein dort, wo man sie nicht sieht, an der Wirbelsäule, am Knie, am Knöchel. Dem Schmücken diente das nicht, es diente der Gesundheit: Was da in die Haut geritzt war – mit einem spitzen Instrument und Holzasche – traf sich oft mit den Punkten, an denen die asiatische Heilkunde ihre Akupunkturnadeln setzt. Das konnte Ötzi brauchen, sein Körper war zerschunden, vor allem an den Gelenken, dort saßen viele Tattoos. Im Lauf der Zeit fanden sich immer mehr, mit immer raffinierteren Fotomethoden, das 61. und bisher letzte wurde zu Jahresbeginn gesichtet. Es sitzt allerdings auf der Brust und macht die Medizin-Hypothese fraglich.

Gestärkt wurde sie im Gegenzug vom „Ötzi-Experiment“, es fand in Kopenhagen statt: Ein dänischer Tätowierer brachte einem deutschen Schmied, der an ähnlichen Schmerzen litt wie Ötzi, dessen Tätowierungen auf den Körper. Es half, das berichtete zumindest Lars Krutak, ein auf Tattoos spezialisierter Anthropologe.

Er war nun auch mit dabei bei Ötzis Ehrenrettung (Journal of Archaeological Science: Reports 5, S. 19): Seit einiger Zeit ist Konkurrenz um die älteste tätowierte Haut aufgetaucht, sie heißt Mo-1 T28 C22 und stammt aus El Murro, Chile. Wie Ötzi wurde diese Mumie von einem Gletscher freigegeben, 1983, ganz anders als bei Ötzi ist ihr Tattoo eindeutig Schmuck, es zieht sich als stilisierter Bart über die Oberlippe. Dieser Mann soll 3830 v. Chr. ins Eis geraten sein, mindestens 500 Jahre vor Ötzi, so lasen es Anthropologen aus einer Radiokarbondatierung. Aber dabei unterlief ihnen ein Fehler: Radiokarbondatierer rechnen mit BP (Before Present) und nehmen als Stichjahr für die Gegenwart 1950. Die Anthropologen brachten es durcheinander mit BC (Before Christ), so kam die Mumie zu ihrem biblischen Alter.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.12.2015)

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