Die Quanten provozieren wieder die Logik

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Physiker sagen, dass die Quantentheorie das intuitiv unverzichtbare Schubfachprinzip verletze.

Warum kann man mit großer Gewissheit sagen, dass es mindestens zwei Wiener gibt, die genau gleich viele Haare am Kopf haben? Weil es sicher keinen Menschen mit mehr als einer Million Haaren gibt, aber 1,7 Mio. Wiener (von denen gewiss nicht mehr als 700.000 ganz haarlos sind). Das ist ein Beispiel für das Schubfachprinzip, auf Englisch „pigeonhole principle“: Wenn ich n Tauben auf m Taubenschläge verteilen muss und n größer als m ist, dann gibt es sicher mindestens einen Taubenschlag, in dem mehr als eine Taube ist.

Das ist so, das kann gar nicht anders sein, das spüren wir, und das sagen auch die Mathematiker. „Es ist ein offensichtliches, dabei fundamentales Prinzip der Natur, da es die Essenz des Zählens ausdrückt“, schreiben Physiker um Yakir Aharonov (Tel Aviv University) in Pnas (4. 1.). Das ist eine gewagte Formulierung: Denn man muss kein radikaler Idealist sein, um zu bezweifeln, dass ein solches Prinzip wirklich in der Natur (und nicht „nur“ in unserem Kopf) ist. Genau das muss nämlich bezweifeln, wer die Quantentheorie ernst nimmt. Das tun Aharonov und Kollegen. Sie leiten aus deren üblichem Formalismus ab, dass in ihr – also auch in der Welt, die sie beschreibt? – das Schubfachprinzip nicht gilt: Wenn man zwei Quantenteilchen in drei Kästen gibt, gibt es Zustände, von denen man sicher aussagen kann, dass sich keine zwei Teilchen in einem Kasten befinden! Dieser „neue Quanteneffekt“, sagen die Physiker, stelle grundlegende Konzepte infrage, etwa Trennbarkeit, Wechselwirkung, Korrelation. Und auch Prinzipien der Mathematik: Denn das Schubfachprinzip liege „nahezu der ganzen Mathematik zugrunde“.

Bisher behielt die Theorie recht

Könnte das nicht einfach heißen, dass die Quantentheorie die Natur schlecht beschreibt? Aharonov und Kollegen schildern in Pnas schließlich nur Experimente, die man machen könnte, nicht solche, die sie gemacht haben. Der Einwand klingt plausibel, allerdings haben die Physiker bisher die Erfahrung gemacht, dass auch unserem Verstand zuwiderlaufende Voraussagen der Quantentheorie – etwa dass ein Teilchen zwei Wege auf einmal gehen kann oder dass zwei weit voneinander entfernte Teilchen miteinander in unmittelbarer Wechselwirkung stehen – sich experimentell bestätigen lassen, der österreichische Physiker Anton Zeilinger z. B. verdankt einen Gutteil seines Ruhms solchen Experimenten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.01.2016)

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