Gewinner nehmen nicht alles, aber unredlich viel

Wuerfel
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Wettbewerb treibt nicht nur den Fortschritt an, er fördert auch Lug und Trug, zumindest im Labor: Wer besser ist als ein Konkurrent, fühlt sich dazu berechtigt, in Zukunft und auf ganz anderen Feldern ausladender zuzugreifen, als Recht und Moral es gebieten.

Die Schäden, die durch Lug und Trug angerichtet werden, sind schwer vorstellbar: Allein „wardrobing“ – bei dem Konsumenten Kleidung/Waren kaufen, sie tragen/benützen und dann unter einem Vorwand zurückgeben – kostet den Handel in den USA geschätzte 16 Milliarden Dollar im Jahr. Das ist nichts gegenüber Versicherungsbetrug (24 Mrd.), der ist nichts gegen Steuerhinterziehung (300 Mrd.). Aber auch die wird getoppt: Geld oder Waren für 600 Milliarden verschwinden in Taschen ihrer Mitarbeiter aus Firmen.
Die Zahlen sind von 2005, aber heute und andernorts wird es auch so sein, und gestohlen wird nicht nur Geld, auch Ideen werden es, oder Siege im Sport etc. Wie geht das zu? In der klassischen Theorie, etwa bei Adam Smith, handelt auch der Unredliche ganz rational, als Homo oeconomicus: Bevor er sich zur Tat entschließt, wägt er Kosten und Nutzen: Was gibt es zu gewinnen, etwa bei einem Raub? Wie hoch ist das Risiko, erwischt zu werden? Wie hoch die erwartbare Strafe?

Aber so einfach wie in der ökonomischen Theorie sind Menschen aus Fleisch und Blut nicht gestrickt, sie haben auch eine Selbstachtung, und die gebietet ihnen, sich an die Normen und Werte zu halten, die sie als Kinder gelernt haben: Zum Selbstbild gehört, dass man eine ehrliche Haut ist. Das kommt nicht nur von der Gesellschaft, es hat einen mächtigen biologischen Verbündeten, das Belohnungszentrum des Gehirns. Das wird nicht nur aktiv, wenn eine Belohnung von außen kommt, sondern auch dann, wenn man normgerecht handelt und kooperativ.
Deshalb muss vor einer üblen Tat im Kopf alles in Einklang gebracht werden, etwa so: Man begeht gar kein Unrecht, wenn man mehr nimmt, als einem zusteht – sondern es steht einem zu, mehr zu nehmen. So sah es Nina Mazar (Toronto) in ihrer „Theory of Self-Concept Maintenance“ (Journal of Marketing Research XLV, S. 633).

Amos Schurr (Jerusalem) nimmt es auf: Wer biegt sich die Realität wie zurecht? Wird eher ein Loser, der sich schlecht behandelt fühlt, zugreifen, zur ausgleichenden Gerechtigkeit? Das hat sich in anderen Psychologenlabors gezeigt: Wer sich um den Lohn einer Mühe betrogen sieht, weil die Aufgabe unlösbar war, will bei der nächsten Gelegenheit das Entgangene zurückholen, oder auch mehr.

Das Würfeln bringt es an den Tag

Aber auch der Winner kommt in Versuchung, das zeigte sich bei Schurr. Der testete Probanden zunächst ganz generell auf ihre Redlichkeit: Sie erhielten Würfelbecher mit zwei Würfeln darin, sie sollten sie schütteln, nur sie sahen die Ergebnisse. Die meldeten sie dem Versuchsleiter und erhielten für jeden erwürfelten Punkt Geld.
Erwartbar war im Durchschnitt ein Ergebnis von 7 pro Wurf, so wurde auch gemeldet. Dann kamen die Experimente: Je zwei Probanden kamen in einen Wettbewerb – es ging um rasches Erkennen bestimmter Buchstaben in Texten –, dann gab es wieder die Würfelbecher. Und nun meldeten die, die im Buchstaben-Wettbewerb gewonnen hatten, höhere Würfe. Die Unterlegenen blieben redlich. Und die Gewinner blieben es in den weiteren Runden des Experiments: In denen wurde über einen Gewinn nicht durch Wettbewerb entschieden, sondern durch Los; oder es ging gar nicht um Sieg über einen anderen, sondern darum, ein persönliches Ziel zu erreichen. In beiden Fällen kam die Redlichkeit nicht ins Wanken (Pnas 1. 2.).

Es hängt alles an einem: „Der Effekt tritt nur auf, wenn ,gewinnen‘ heißt, über einen anderen gewinnen“, erklärt Schurr, er sieht mit solchem Gewinnen in der Psyche einen Anspruch darauf kommen („entitlement“), in anderen Situationen automatisch die Nase vorn zu haben: „Man kann die Bedeutung des Wettbewerbs für den Fortschritt kaum überschätzen. Man darf aber auch seine Rolle bei sträflichem Verhalten nicht übersehen.“

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