Raben denken, dass andere Raben denken

Hohe soziale Intelligenz: ein Rabe, den die Wiener Biologen gut kennen.
Hohe soziale Intelligenz: ein Rabe, den die Wiener Biologen gut kennen.(c) Universität Wien/Jana Müller
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Österreichische Forscher haben gezeigt, dass die klugen Vögel das haben, was man Theory of Mind nennt.

Etwa ab einem Alter von drei Jahren verstehen Menschen, dass im Kopf anderer Menschen etwas vor sich geht, und zwar nicht unbedingt das Gleiche wie in ihrem eigenen: Wenn sie z. B. Steine statt der Kekse in eine Keksdose getan haben, wissen sie, dass andere Kinder, die sie dabei nicht beobachtet haben, noch immer glauben, dass Kekse in der Dose sind. Womit ein weites Feld für Lug, List und Häme offen ist . . .

Psychologen nennen das Mentalisierung (definiert als die Fähigkeit, Verhalten durch Zuschreibung mentaler Zustände zu interpretieren) oder Theory of Mind. Und Biologen fragen: Haben auch Tiere eine solche? Schimpansen ziemlich sicher, andere Menschenaffen vielleicht. Bei Wölfen gibt es deutliche Hinweise darauf. Bei den auch recht schlauen Rabenvögeln galt es bisher nur als wahrscheinlich. Zwei österreichische Biologen (Thomas Bugnyar, Stephan Reber) und ein texanischer Philosoph (Cameron Buckner) publizieren nun in Nature Communications (2. 2.) ein Experiment, das sehr dafür spricht. Es beruht darauf, dass Raben Futter verstecken – und zwar hastiger, wenn andere Raben in der Nähe sind. Das lässt noch nicht auf eine Theory of Mind schließen, es könnte auch sein, dass sie nur auf das offensichtliche Verhalten der Artgenossen reagieren.

Bugnyars und Rebers Raben allerdings (zum Zweck des Versuchs ausnahmsweise ungefüttert, wie in der Publikation angemerkt wird) sahen nur ein Guckloch (über das sie zuvor gelernt hatten, dass man durchschauen kann) und hörten Geräusche anderer Raben. Daraus schlossen sie offenbar, dass diese ihnen zusahen oder jederzeit zusehen konnten – und sie verhielten sich entsprechend: Sie versteckten ihr Futter hastig und vermieden es tunlichst, zum Versteck zurückzukehren, wohl um den Konkurrenten keine Hinweise auf dieses zu geben.

„Die Ergebnisse legen nahe, dass Raben die akustische Information über die Anwesenheit anderer Raben mit ihrer eigenen Erfahrung, dass man durch das Guckloch schauen kann, geistig verbinden können“, sagt Bugnyar: „Das stimmt mit einer der gängigen Hypothesen, wie eine Theory of Mind funktionieren könnte, überein.“ Und er betont, wie wichtig für die Konzeption der Versuche die Diskussionen mit dem Philosophen Buckner waren.

Hohe soziale Flexibilität

Dieser, spezialisiert auf tierisches Verhalten, erklärt, warum Raben so gute Kandidaten für soziale Kognition sind: weil sie in manchen Lebensphasen sehr enge, paarweise Bindungen eingehen, aber vor allem in ihrer Jugend in flexibleren Verhältnissen leben. „In dieser Zeit kann es sich schnell ändern, wer zur Gruppe gehört, wer ein Freund und wer ein Feind ist“, sagt Buckner: „Es gibt nicht viele Arten, die so viel soziale Flexibilität zeigen.“

Dabei hilft den Raben auch ihr erstaunliches Gedächtnis für Stimmen: Frühere Experimente haben ergeben, dass sie, wenn man ihnen Stimmen von Artgenossen auf Band vorspielt, z. B. auf alte Freunde anders reagieren als auf alte Feinde.

Sie kennen einander gut – und sie intrigieren sogar gegeneinander: Wenn sich zwei gerade miteinander anfreunden – das merkt man, weil sie einander mit dem Schnabel kraulen –, stört bisweilen ein Dritter ganz systematisch, offenbar um neue Allianzen zu verhindern. Auch das hat die Gruppe um Bugnyar erforscht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.02.2016)

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