Entfernung greiser Zellen: Neue Strategie gegen das Altern?

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THEMENBILD: SOZIALES / GESUNDHEIT / PFLEGE / ARBEITSMARKT(c) APA/BARBARA GINDL
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Viele Leiden des Alterns entstehen durch Zellen im Ruhestand. US-Forschern gelang es, diese in den programmierten Zelltod zu treiben und so gegen die Gebrechlichkeit zu wirken. Allerdings nur bei Mäusen.

Kampf gegen den Krebs und Kampf gegen das Altern: Das antworteten feurige Molekularbiologen noch vor 20 Jahren, wenn man sie fragte, was ihre Wissenschaft zum Wohl der Menschheit beitragen könne. Sie sind an beiden Fronten pessimistischer geworden, das liegt nicht nur am Zeitgeist, sondern auch daran, dass sich vieles, was recht einfach schien, als kompliziert erwies.

Man denke nur an die Telomere, die Enden der Chromosomen, die bei jeder Zellteilung verkürzt werden, bis es fatal wird – es sei denn, das Enzym Telomerase ergänzt sie wieder. Das tut es in Krebszellen, darum sterben diese nicht. Ein schönes Bild – der Lebensfaden, an dem die Parze Atropos schnipselt –, zugleich doppelte Hoffnung: Könnte man die Telomerase stoppen, dann würde das gegen den Krebs wirken; könnte man sie anwerfen, dann gegen das Altern.

Beides hat nicht wirklich funktioniert. Eine neue Arbeit schürt eine andere Hoffnung: Sie betrifft den Zustand, den eine Zelle annimmt, wenn die Telomere zu kurz geworden sind. Dann sind zwei Schicksale möglich: Entweder wird die Zelle in den programmierten Zelltod (Apoptose) geschickt (das passiert vor allem, um Krebs abzuwehren), oder sie wird seneszent. Das heißt vor allem, dass sie sich nicht mehr teilt. Dazu schüttet die greise Zelle fatale Moleküle aus: etwa Metalloproteinasen, die das Gewebe zwischen den Zellen angreifen, und Cytokine, die Entzündungen fördern. So häufen sich, während die seneszenten Zellen immer mehr werden, die unschönen Zeichen des Alters: vom Nierenleiden zur Diabetes, vom grauen Star zur Herzschwäche. Auch Krebs wird häufiger.

Könnte es also das Altern bremsen, wenn man diese greisen Zellen regelmäßig entfernt? Die Idee mag naiv klingen, doch Mediziner um Darren Baker (am Mayo Clinic College of Medicine in Rochester, Minnesota) versuchten es (Nature, 4. 2.).

In den Zelltod umprogrammiert

Natürlich nicht an Menschen, sondern an Mäusen. Zunächst kreierten sie, wie's in der Gentechnik heißt, ein Mausmodell: Mäuse mit einem Gen, das die Bauanleitung für ein Enzym namens Caspase ist. Dieses Enzym bewirkt dann, dass seneszente Zellen auf das andere Schicksal alter Zellen umprogrammiert werden: in den programmierten Zelltod. Die Forscher nennen diese genmanipulierten Mäuse „Attac“ (apoptosis through targeted activation of Caspase). Denn die Caspase – respektive das entsprechende Gen – muss erst aktiviert werden, und das geschieht durch eine Substanz, die den Mäusen injiziert werden muss, zweimal in der Woche in den Bauch.

Besserung an Herz und Nieren

Das ist gewiss nicht angenehm – und bewirkt, dass die Mäuse, die zur Kontrolle eine Lösung ohne aktivierende Substanz bekamen, kürzer lebten als normale Mäuse. Die Mäuse aber, bei denen ab einem Alter von einem Jahr (das ist bei Mäusen etwa die Mitte des Lebens) die Caspase regelmäßig via Injektion aktiviert wurde, lebten nicht nur länger, um 17 bis 35 Prozent. Sie litten auch weniger unter Alterssymptomen: Sie blieben neugieriger, ihre Nieren funktionierten besser, ihr Herz ertrug mehr Stress, sie verloren kein Fett (auch ein typisches Alterszeichen, das bei zivilisierten Menschen nur durch allgemeine Neigung zu Übergewicht überlagert wird), sie entwickelten später Krebs, ihre Augen trübten sich weniger. Wenn die Molekularbiologen noch so pathetisch wären wie vor 20 Jahren, dann riefen sie in hellen Chören: ein Jungbrunnen!

Es gibt freilich viele Einwände, die Kommentatoren in Nature auch erheben. So tötet die Behandlung nicht alle seneszenten Zellen, die der Leber etwa bleiben verschont. Eine Anwendung auf Menschen ist derzeit auch nicht vorstellbar. Allerdings suchen andere Forscher schon Medikamente, die seneszente Zellen selektiv töten. Ein Ansatzpunkt wäre auch, die fatalen Moleküle zu bekämpfen, die von den greisen Zellen ausgeschüttet werden. Rapamycin, ein von (erstmals im Boden der Osterinsel Rapa Nui gefundenen) Bakterien erzeugter Stoff, der bei Menschen als Immunosuppressor eingesetzt wird und Mäusen das Leben verlängert, scheint so zu wirken.

Ein grundsätzliches Bedenken: Die Seneszenz der Zellen könnte ja auch einen guten Sinn haben. Es ist schwer vorstellbar, dass sie in der Evolution nur entstanden ist, um das Altern von Individuen voranzutreiben. Einstweilen weiß man nur, dass sie Narbenbildung beschränkt und gegen Krebs wirkt. Aber offenbar weniger, als sie ihn fördert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.02.2016)

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