Kühe mit gesundem Abfall ernähren

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Tierernährung. Da Milchkühe Getreide und Hülsenfrüchten fressen, die auch für Menschen essbar sind, sollen stattdessen Nebenprodukte der Lebensmittelindustrie verfüttert werden.

Während manche Fleischesser scherzen, Vegetarier würden den Kühen das Futter wegessen, ist es eine Realität unserer Zeit, dass die Kühe den Menschen das Futter wegfressen. Denn seit Milchkühe Spitzenleistungen von über 40 Litern Milch pro Tag geben sollen, um die Wirtschaftlichkeit eines Betriebs zu gewährleisten, können die Tiere nicht nur von Gras ernährt werden.

Zusätzlich zur Grundration aus Grünfutter, Heu und Silagen erhalten Hochleistungskühe daher Kraftfutter aus Getreide und Hülsenfrüchten, um den Energie- und Proteinbedarf für ihre hohe Milchleistung zu decken.

Im Durchschnitt über ganz Österreich gerechnet enthalten Milchkuh-Rationen rund 13 Prozent Getreide, zehn Prozent Maissilage, die zur Hälfte aus Maiskörnern besteht, und zwei Prozent Hülsenfrüchte wie Ackerbohnen, Erbsen oder Sojaschrot. „Die Rationen österreichischer Milchkühe bestehen also zu circa 20 Prozent aus Komponenten, die der Mensch direkt konsumieren könnte“, erklärt Wilhelm Knaus vom Institut für Nutztierwissenschaften der Boku Wien.

Er leitet ein Forschungsprojekt, das vom Landwirtschaftsministerium und von Wirtschaftspartnern gefördert wird und das die Konkurrenz zwischen Mensch und Tier bei diesen wichtigen Lebensmitteln reduzieren soll. Immerhin wird sich das Problem der Nahrungskonkurrenz wegen der zunehmenden Weltbevölkerung und der Verknappung von fruchtbarem Ackerland in Zukunft noch verstärken. Nicht nur im Jahr der Hülsenfrüchte, zu dem die UNO das Jahr 2016 erklärt hat, ist dies eine dringliche Frage.

Weizenkleie und Rapskuchen

„Wir wollen die potenziell essbaren Anteile in den Rationen durch Nebenprodukte aus der Lebensmittelverarbeitung wie beispielsweise Weizenkleie als Nebenprodukt der Mehlherstellung oder Trockenschnitzel aus der Zuckerproduktion ersetzen und den Kraftfutter-Einsatz insgesamt senken“, erklärt Knaus. Neben den von ihm genannten Energielieferanten (Stärke und Zucker) wurden auch Proteinlieferanten für die Kühe getestet: Das sind Nebenproduktue, die bei der Verarbeitung von Hülsenfrüchten oder bei der Produktion von Pflanzenölen anfallen, also unter anderem Rapskuchen oder Sonnenblumenkuchen – stets aus Biobetrieben.

Nicht schädlich für den Darm

Doch nicht alles, was „Abfall“ ist, kann ein Tier fressen. Denn die Nebenprodukte verhalten sich im Magen-Darm-Trakt oft ganz anders als ihre Ausgangsprodukte. Dazu braucht es detaillierte Forschung, welche Produkte der Lebensmittelindustrie sich in welcher Form auf die Gesundheit der Kühe auswirken. In Zusammenarbeit mit der Vet-Med-Uni Wien wurden dazu Laborversuche durchgeführt, ebenso wie Fütterungsversuche in einem Bio-Milchkuhbetrieb im Land Salzburg. „Man muss zuerst im Labor testen, ob die Fütterung solcher Nebenprodukte der Lebensmittelindustrie auf Dauer schädlich für die Verdauung oder den Stoffwechsel der Milchkühe ist“, sagt Qendrim Zebeli vom Institut für Tierernährung und Funktionelle Pflanzenstoffe der Vet-Med-Uni Wien. Nach langer Arbeit ist klar: Milchkühe können gut ohne Getreide und Hülsenfrüchte im Futter zurechtkommen.

„Voraussetzung ist, dass man sehr hochwertige Nebenprodukte als Ersatz verwendet und die Mischung der Bestandteile gut aufeinander abstimmt“, sagt Zebeli. Außerdem darf man sich von den derart gefütterten Kühen keine Höchstleistungen erwarten: Kurzfristig sind zwar Tagesmengen von bis zu 40 Litern Milch möglich, im Jahresdurchschnitt geben diese Kühe jedoch zwischen 20 und 25 Liter pro Tag.

Ein Drittel geht an Nutztiere

Doch die verringerte Milchleistung lohnt sich laut den Forschern, wenn man es mit der Menge an potenziellen Lebensmitteln vergleicht, die damit statt für Tiere wieder für Menschen zur Verfügung steht. Nach aktuellem Wissensstand wird immerhin ein Drittel der weltweiten Getreideernte an Nutztiere verfüttert.

IN ZAHLEN

40 Prozent mehr Getreide muss bis 2050 produziert werden, um den Bedarf an Lebens- und Futtermitteln der Welt zu decken.

36 Prozent der Festlandoberfläche der Erde sind landwirtschaftlich nutzbar. Davon sind zwei Drittel Weideland, ein Drittel Ackerland.

783.000 Kühe werden in Österreich gehalten: 530.000 Milch- und 253.000 Mutterkühe. 80 Prozent der Milchkühe leben ganzjährig in Stallhaltung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.03.2016)

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