Die All-Macht der Mikrobiome

Mikroorganismen
Mikroorganismen (c) ORF
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Mikroorganismen leben überall und beeinflussen die Gesundheit. Grazer Mediziner erforschen ihre genaue Rolle, die auch bemannten Mars-Missionen helfen soll.

Wenn zwei identisch große und schwere Mäuse dasselbe fressen, dann hat das dieselben Folgen für beide. Es sei denn, eine von ihnen trägt ein anderes Mikrobiom in sich: Diese wird dann dick und rund. Dieses Laborexperiment zeigt „wie mächtig Mikrobiome sind“, sagt Christine Moissl-Eichinger, Mikrobiologin an der Med-Uni Graz.

Mikrobiome sind die Gesamtheit aller Mikroorganismen – oder Mikroben – auf einem Lebewesen. Jeder Mensch, jede Pflanze und jedes Tier hat sein eigenes Mikrobiom. Ein Mensch trägt Billionen von Mikroben herum, allein im Darm befinden sich etwa 10.000 verschiedene Arten. Insgesamt entspricht das ungefähr dem Gewicht der menschlichen Gehirnmasse, sprich zwei Kilogramm.

Mediziner und Mikrobiologen der Med-Uni Graz wollen herausfinden, wie sich diese auf die Gesundheit auswirken. Moissl-Eichinger ist die Forschungsleiterin der in Graz 2014 installierten Interaktiven Mikrobiomforschung der BioTechMed, einer Kooperation der Karl-Franzens-Uni, der TU Graz und der Med-Uni Graz.

Natur genießen, Dreck zulassen

Noch steht die Forschung wegen der Vielzahl und der Komplexität der Mikroorganismen am Anfang. Sicher ist, dass sie für die Balance im menschlichen Körper sorgen: Im Darm verdauen sie etwa die Nahrung. Sie sorgen für den Stoffumsatz und geben Vitamine ab, die wir ohne sie nicht aufnehmen könnten. Dasselbe gilt für die Haut, die, sind die Mikroben dort aus dem Gleichgewicht, gereizt wird. Da Kinder und Menschen ab dem 60. Lebensjahr eine andere Zusammensetzung der Mikroorganismen auf der Haut haben, sind sie anfälliger für Hautkrankheiten.

Welche Mikroben welche Substanzen umbauen und somit für den Menschen zugänglich machen oder nicht, ist Teil des Forschungsgebiets. Die Idee ist, „in der Medizin irgendwann so weit zu kommen, das Mikrobiom beeinflussen zu können“, sagt Forschungsleiterin Moissl-Eichinger.

Die Macht des Mikrobioms kann noch nicht gänzlich benutzt werden, aber angeregt: Pflanzen sorgen für den Austausch gesunder Mikroben. Waldspaziergänge und Zimmerpflanzen gelten schon lange als gesundheitsfördernd. Die Umgebung, in der wir leben und uns bewegen, wirkt auf uns. Die Hygiene hingegen muss überdacht werden. Tägliches Duschen ist oft ebenso nachteilig wie das übertriebene Scheuern der Fußböden: „Ich fördere damit Mikroben, die extreme Resistenzen besitzen, die etwa Desinfektionsmittel überleben“, sagt Moissl-Eichinger. Damit geht die Diversität der Mikrobiome verloren, die für die Gesundheit am wichtigsten sind. Kinder bis zu drei Jahren nehmen auch deshalb alles in den Mund – und damit enorme Mengen an Mikroorganismen –, um ihre Abwehrkräfte aufzubauen. Das klinische Putzen der Intensivstation gehört ebenso überdacht.

Abwechslungsreiche Ernährung ist ein weiterer Knackpunkt. Durch das typische westliche Essverhalten mit viel Fett und Kohlenhydraten gehen Mikroben oft dauerhaft verloren, die aber oftmals wichtige Aufgaben, wie eben den Stoffumsatz, erfüllen. Um die Macht der Mikrobiome zu nutzen, gilt: Natur genießen, Grünzeug essen und Dreck zulassen.

Die dunkle Seite der Macht

Mikroorganismen sind überwiegend gut. Es gibt aber eine dunkle Seite der Macht: Geraten sie außer Kontrolle, ist das Leben gefährdet. Das gilt vor allem im Weltraum. Denn Mikroben verbreiten sich auch in geschlossenen Biotopen, wie in der Raumstation ISS. Werden sie nicht überwacht, sprießen Pilze, was die Gesundheit der Astronauten gefährdet und Allergien und Infektionen auslöst.

Noch dazu gibt es „technophile Mikroben“, die Metalloberflächen angreifen, so geschehen auf der russischen Raumstation MIR. Moissl-Eichingers Team hilft daher auch bei den geplanten bemannten Mars-Missionen der Nasa und ESA, damit die „Balance gesunder Mikrobiome gegeben ist und nicht in eine schlechte Richtung umkippt“, sagt sie. Dass ein Leben im All möglich ist, ist auf mikrobieller Ebene sehr gut vorstellbar: Bedenkt man vor allem, dass circa 80 Prozent der Mikroben keinen Sauerstoff zum Leben benötigen und viele von ihnen unter extremer Hitze, Kälte und Trockenheit überleben. Ein Leben auf dem Mars scheint möglich zu sein.

Die Forscherin untersucht daher im Rahmen des EU-Projekts Europaplanet 2020 Mikroorganismen am Center for Life Detection der Med-Uni Graz unter Weltraumbedingungen. Möglich macht das ein dort stationiertes Equipment zur Anzucht von sauerstoffempfindlichen Mikroben.

IN ZAHLEN

Billionen Mikroben befinden sich auf und in jedem Lebewesen sowie auf Oberflächen in der Umwelt.Allein 10.000 Arten sitzen im menschlichen Darm, das entspricht circa zwei Kilogramm.

80 Prozent der Mikroben benötigen keinen Sauerstoff, um zu überleben. Das ermöglicht erst ihre Ansiedlung im Darm und verstärkt gleichzeitig die These, dass „überirdische“ Mikroben im Weltall zu finden sind.

500 Tage wären Astronauten auf dem Weg zum Mars mindestens in einer Raumkapsel eingesperrt: Eine mikrobiome Balance darin ist überlebensnotwendig.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.05.2016)

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