Neue HIV-Variante stammt vom Gorilla ab

(c) AP (Schalk van Zuydam)
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Französische Forscher haben in Kamerun eine neue Art des HI-Virus entdeckt. Es stammt vermutlich von Gorillas. Nun wird geprüft, ob es sich schon weiter verbreitet hat.

Gewichtsverlust und Fieber im Jahr 2003, seither keine Leiden, die sich als Aids-Symptome interpretieren lassen: Die 62-jährige, in Kamerun geborene, heute in Paris lebende Frau ist zwar mit HIV infiziert, die Krankheit ist aber bei ihr offensichtlich (noch) nicht ausgebrochen. Und doch ist ihr Fall das Thema einer brisanten Publikation in Nature Medicine: Denn das HI-Virus, das bei einer Routineuntersuchung in ihr gefunden wurde, unterscheidet sich von den bisher bekannten HIV-1-Typen. Und es stammt nicht von Viren der Schimpansen ab, sondern ist offenbar von Gorillas auf Menschen gekommen.

Die äffischen Pendants zu HIV-1 heißen SIV („simian immunodeficiency virus“). Die Schimpansen-Form dieses Virus hat irgendwann in der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts die Artenschranke zum Menschen überschritten, wahrscheinlich wurden Jäger, die Schimpansenfleisch („bushmeat“) aßen, als erste infiziert. Den Schimpansen – von denen etwa in Kamerun 43Prozent infiziert sind – tut das Virus wenig, es scheint meist in friedlicher Koexistenz mit respektive in ihnen zu leben, erst vor Kurzem wurde erstmals berichtet, dass die Sterblichkeit bei infizierten Affen doch höher ist als bei Nicht-Infizierten (Nature, 460, S.515) und dass SIV-Befall auch bei Schimpansen das Immunsystem nachweisbar strapaziert.

Der nun bei der Frau aus Kamerun gefundene HIV-1-Typ unterscheidet sich von den bekannten Typen M, N und O, die Forscher um Jean-Christophe Plantier (Université de Rouen) nennen ihn P. Laut ihrer Analysen ist dieser Typ nicht mit dem Schimpansen-SIV verwandt, sondern mit dem – erst vor drei Jahren entdeckten – Gorilla-SIV. Überraschend ist auch, dass HIV-1 TypP ein typisches Merkmal der Anpassung an den Menschen (in einem Protein namens „Gag“) nicht hat. Aber es zeigt in Labortests „typisches HIV-1-Verhalten“, schreiben die Forscher, was nahelege, dass „es in Kamerun oder anderswo unbemerkt zirkulieren könnte“. Dafür spricht auch, dass die Frau, die vor ihrer Übersiedlung nach Paris in Yaounde, der Hauptstadt Kameruns, lebte, nie Kontakt mit Gorillas hatte und wohl auch kein Gorillafleisch aß, aber laut eigener Angaben nach dem Tod ihres Mannes (1984) mehrere Sexualpartner hatte.

Beunruhigend an der Entdeckung ist, dass sie daran erinnert, dass auch so unheimliche Viren wie HIV respektive SIV relativ leicht von anderen Arten auf Menschen springen können – und dass sie sehr schnell ihre Virulenz ändern können: Je leichter Krankheitsüberträger von Individuum zu Individuum wandern können, desto eher können sie es „sich leisten“, die befallenen Individuen umzubringen. (Darum fallen ansteckende Krankheiten in dicht besiedelten Gebieten oft bösartiger aus.)

Der Pool an SIV-Arten ist groß: An 30 Affenarten wurde bisher eine Infektion nachgewiesen, die meist ohne Symptome zu bleiben scheint. Die zweite große Gruppe von menschlichen HI-Viren, das seltenere und weniger aggressive HIV-2, stammt auch von ganz anderen Affen als den Schimpansen ab: von Schwarzmangaben, das sind den Meerkatzen verwandte Äffchen, die im mittleren Afrika leben. Laut Gen-Analysen wurde das Virus mindestens sechsmal unabhängig voneinander von ihnen auf Menschen übertragen.

In diesem Sinn fordern die Forscher: Es müsse vor allem im Westen Zentralafrikas ständig beobachtet werden, ob neue HIV-Varianten entstehen.

AUF EINEN BLICK

Aids („Acquired Immune Deficiency Syndrome“) nennt man die Symptome der Zerstörung des Immunsystems, die durch die Infektion mit HIV ausgelöst wird. Es wurde 1981 als Krankheit definiert, 1983 wurde das HI-Virus identifiziert, es ist ein Retrovirus, das die Zellen des Immunsystems befällt. Man unterscheidet HIV-1 und HIV-2. Beide stammen von Viren der Affen (SIV) ab.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.08.2009)

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