Manche Gene leben nach dem Tod erst auf

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Auch wenn das Gehirn tot ist, sind es viele Gene noch nicht, im Gegenteil, sie werden dann aktiv.

„Ein Mensch ist tot, wenn die Diagnose des Hirntods und deren Dokumentation abgeschlossen sind und der letzte beteiligte Arzt seine Unterschrift unter das Diagnoseprotokoll setzt.“ So definiert es die deutsche Bundesärztekammer, der Oberste Sanitätsrat Österreichs tut es ähnlich: „Der Mensch ist tot, wenn die Funktion des gesamten Gehirns (= Großhirn, Kleinhirn und Hirnstamm) ausgefallen ist.“ Die Definition ist umstritten, aber die Medizin braucht Klarheit, vor allem die Transplantationsmedizin braucht sie, sie muss wissen, wann sie Gewebe oder Organe entnehmen darf.

Aber in denen kann noch Leben stecken, wenn das Hirn längst nicht mehr arbeitet, mehr noch, dort kann es erst aktiv werden bzw. manche Gene können es. Das hat Peter Noble (University of Washington, Seattle) bemerkt, als er bei toten Zebrafischen und Mäusen das Thanatos-Transcriptom analysierte: Thanatos ist der Tod, und im Transcriptom steckt das Umschreiben genetischer Information von DNA in RNA. Dass das nach dem Tod noch weiterlaufen kann, weiß man von einigen Genen von Menschen schon. Aber ganze Organismen nimmt erst Noble in den Blick. Er hat vor zwei Jahren nachgesehen, welche Bakterien in Kadavern noch aktiv sind, nun ist er eben an die Genome gegangen, „aus reiner Neugier, um zu sehen, was geschieht, wenn man stirbt“.

Was geschieht, wenn man stirbt?

Bei Zebrafischen und Mäusen passiert dann einiges (vorab auf bioRxiv 10.46.): 548 bzw. 515 Gene wurden aktiv bzw. aktiver, ganz verschiedene, manche haben mit Stress und Entzündung zu tun, andere mit dem Immunsystem, andere fördern Krebs, und manche sind gar Gene, die bei der Embryonalentwicklung mitspielen. „Da bleibt einem die Sprache weg“, berichtet Noble, aber sie bleibt ihm nicht lang weg: Entwicklungsgene werden vermutlich deshalb aktiv, weil andere Gene, die ihre Aktivität unterbunden haben, selbst nicht mehr aktiv sind.

Die Aktivitäten kamen bei Fischen und Mäusen ganz unterschiedlich und zu anderen Zeiten, manche noch vier Tage nach dem Ableben. „Wir hatten gedacht, dass man den Tod eines Wirbeltiers mit einem Auto vergleichen kann, dem der Sprit ausgeht: Die Kolben bewegen sich noch ein bisschen, dann bleibt alles stehen“, erklärt Noble: „Aber was wir gesehen haben, wäre in der Analogie des Autos so, als würde lang nach seinem ,Tod‘ plötzlich die Hupe hupen.“

Die Metapher mag ein wenig auf das Alarmsignal anspielen, das in Nobles Befund steckt: Wenn nach dem Tod Gene erwachen, die Krebs fördern, könnte der in Transplantaten stecken, die nach Diagnose des Hirntods entnommen wurden. Aber der Befund ist nicht nur für die Medizin wichtig, die mit dem Leben zu tun hat, sondern auch für die, die den Toten nachspürt, die forensische: Mit Analysen des Thanatos-Transscriptoms könnten Todeszeitpunkte präziser festgelegt werden als mit heutigen Methoden, das entwickelt Noble in einer Parallelarbeit, die er auch vorab auf bioRxiv zugänglich macht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.06.2016)

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