Lieber ein Schnitzel als gute Luft

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Europas Bürger wissen wenig darüber, was die Luft verschmutzt. Außerdem würden sie eher Geld zahlen, als ihr Verhalten zu ändern, besagt Europas größte Studie dazu.

Hand aufs Herz: Würden Sie auf Fleisch verzichten, um die Luftverschmutzung zu verringern? Nein? Dann sind Sie mit den meisten der 2300 in der Sefira-Studie, einem kürzlich abgeschlossenen transdisziplinären EU-Projekt, befragten Österreichern einer Meinung. Denn diese – und dabei die Männer um 70 Prozent mehr als die Frauen – zahlen nämlich lieber für die Luftverschmutzung, als ihr Essverhalten zu ändern.

Mit dieser Antwort rangiert Österreich unter den untersuchten sieben Ländern Belgien, Deutschland, Großbritannien, Italien, Polen und Schweden an der Spitze. In sogenannten Choice Experiments konnten die Befragten zwischen mehreren politischen Maßnahmen wählen. Insgesamt wurden für die größte EU-weite Erhebung 16.000 Bürger, die mindestens vier Mal in der Woche mit dem Auto oder dem Motorrad fahren und Fleisch und Milchprodukte essen, befragt. Die Forscher interessierten die persönlichen Einstellungen und das Wissen zu den Themen Luftverschmutzung und Klimawandel.

Bildung und Wohlstand zählen

„Generell lässt sich sagen, dass, je gebildeter und wohlhabender die Bürger sind, sie desto eher bereit sind zu zahlen, statt das eigene Verhalten zu ändern“, sagt der Soziologe Yuri Kazepov von der Universität Wien. Gemeinsam mit Michela Maione von der italienischen Universität Urbino Carlo Bo koordinierte er für Sefira – das Kürzel steht für Socio Economic Implications for Individual Responses to Air Pollution – neun Projektpartner.

Die genannten Gründe für das Verhalten sind sehr unterschiedlich: So meinen die Befragten etwa, schon sehr ökologisch zu agieren, oder aber die Umwelt interessiert sie nicht. In Schweden etwa ist die Bereitschaft, etwas zu verändern, deutlich höher – unabhängig von der sozialen Schicht.

Handlungsbedarf besteht allemal. 400.000 frühzeitige Todesfälle werden in Europa pro Jahr auf Feinstaub zurückgeführt. „Was uns wirklich verblüffte, war die Tatsache, dass in der Bevölkerung ein ganz geringes Bewusstsein darüber vorhanden ist, was Luft eigentlich verschmutzt“, so Kazepov. Entgegen der landläufigen Meinung vieler ist nämlich nicht die Industrie der Hauptverursacher der Luftverunreinigung, sondern die Großlandwirtschaft. „Doch das nimmt die Bevölkerung nicht wahr.“

Durch Innovationen und scharfe Richtlinien nimmt die Industrie längst nicht mehr Platz eins ein, doch diese Maßnahmen und Anstrengungen kommen im Bewusstsein der Bürger nicht an. Den Hauptgrund dafür sieht Yuri Kazepov darin, dass die Menschen – insbesondere in Städten – die Abgase der Motoren und Schornsteine sehen und riechen können, das ausgeschiedene Methangas aus Massentierhaltungen hingegen verpufft unbemerkt in der Luft.

Die größten Massentierhaltungsbetriebe machen nur fünf Prozent aller landwirtschaftlichen Betriebe in der EU aus. Dafür verursachen sie jedoch – laut Studien des Internationalen Instituts für angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg bei Wien, einem Partner des Projekts – rund 80 Prozent der gesamten Ammonium-Emissionen. Direkt hinter der Landwirtschaft folgen als Luftverschmutzungsakteure das Transportwesen sowie Kohle- und Holzheizungen in Privathaushalten.

Weniger Milch und Käse essen

Nur wenn die EU-Bürger erkennen, dass ihr Verhalten die Luft verbessern kann, werde sich auch auf EU-Ebene etwas bewegen lassen, denn die Lobby der Großlandwirtschaft in Brüssel sei sehr einflussreich, so Kazepov: „Jeder Bürger könnte schon allein dadurch der Luft etwas Gutes tun, indem er ein bis zwei Mal pro Woche weniger Fleisch und weniger Käse und Milchprodukte isst“, sagt der Soziologe. Zwar sind Österreicher laut der Studie eher änderungsresistent, sie können aber auch stolz auf sich sein: So lag Österreich bei der Befragung etwa mit Großbritannien an der Spitze, was das Bewusstsein betrifft, dass das Individuum für die Luftverschmutzung Verantwortung übernehmen muss und dadurch auch auf politischer Ebene etwas bewirken kann.

Hier schnitten Belgier, Polen und Italiener deutlich schlechter ab. „Das Bewusstsein zu erhöhen ist wichtig, weil alle einen Teil der Verantwortung tragen müssen“, so Kazepov.

Anlass für das Projekt war die geplante Verschärfung der europäischen Luftschutzrichtlinie. „Leider hat unsere Studie noch keinen Handlungsbedarf auf europäischer Ebene geweckt“, sagt Kazepov. „Wir hoffen dennoch, mit unseren Ergebnissen dazu beitragen zu können, das Thema zur Diskussion zu bringen.“

(Print-Ausgabe, 23.07.2016)

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