Technologien für Ältere müssen auch cool sein

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„Angehende Ingenieure sollten ein Praktikum in einem Altenheim machen“, sagt Ulrike Bechtold vom Institut für Technikfolgenabschätzung. Denn viel zu oft kennen die Jungen die Bedürfnisse älterer Menschen nicht.

Die Presse: Der Einsatz neuer Technologien für ältere Menschen, auch unter dem Schlagwort Ambient Assisted Living, kurz AAL, bekannt, galt vor zehn Jahren als Retter vor dem Konkurs durch den demografischen Wandel. Wie realistisch ist das aus heutiger Sicht?

Ulrike Bechtold: Das war die überspitzte Botschaft von damals. Die Annahme, dass Menschen dadurch länger zu Hause sind und weniger institutionelle Pflege brauchen, ist zwar richtig, aber es braucht auch Vorarbeit. Man kann eine Technologie nicht nur auf die ältere Bevölkerung loslassen und erwarten, dass damit alles gelöst ist. Eine ältere Frau sagte etwa in einem Projekt: „Ich wünsche mir so viel Technik wie nur irgend möglich, denn ich möchte nicht abhängig sein von anderen Menschen.“ Wenn die Menschen das wollen, ist es gut. Aber es braucht auch eine Wahlmöglichkeit für die, die das nicht wollen oder sich nicht leisten können.

Wird es immer mehr zur Luxusfrage, wie wir altern?

Die Gefahr besteht. Man muss gegensteuern, damit es nicht zu einem Szenario kommt, in dem die ärmeren Älteren ausschließlich technologiegepflegt werden und sich die reicheren Älteren einteilen können, wie viel menschliche und wie viel technische Unterstützung sie haben wollen. Eine Mischung wäre das Ideal. Es braucht eine sehr differenzierte Entwicklung, eine gute Ausbildung der Verantwortlichen. Da gibt es einen Widerspruch: Oft entwickeln ganz junge Menschen, vor allem Männer, Technologien, die mit dem Alter nichts zu tun haben. Ein Architekt und Ziviltechniker, der seit 20 Jahren beruflich aktiv ist, hat mir neulich erzählt, dass er zum ersten Mal einen Rollstuhl geschoben hat in seinem Leben. Nun habe er das Problem der Zugänglichkeit zum ersten Mal selbst erlebt.

Sollten angehende Ingenieure also ein Praktikum im Seniorenheim machen?

Ja, das haben wir 2013 auch schon in einem Papier vorgeschlagen. In England gibt es das schon, dass Ingenieure in Institutionen gehen oder auch mit älteren Menschen zusammenarbeiten. Es würde schon helfen, wenn Studierende während eines Praktikums einmal Fat Suits tragen würde: Kleidung, durch die man erlebt, wie man sich im Alter fühlt, wenn man behäbiger ist. Auch die Forschung müsste anders beginnen: nicht mit der Idee des Ingenieurs, sondern mit dem Kontakt mit den älteren Menschen und deren Bedürfnissen.

Machen das einzelne Modellregionen in Österreich nicht schon?

Zum Teil ja, aber sehr oft ist die Technik schon da. Oft gibt es etwa neue Sensoren, und man überlegt sich dann einen Zweck dafür. Man experimentiert also mit der existierenden Technik und entwickelt die Technik nicht auf ein wirkliches Problem hin. Auf den ersten Blick scheint es freilich wenig Unterschied zu machen, ob ein Knopf rechts oder links ist. Die Frage ist aber: Braucht es überhaupt einen Knopf?

Das Pferd wird also vom Schwanz her aufgezäumt?

Genau, da gibt es jetzt aber eine zunehmende Sensibilisierung. Dazu soll unser Buch (siehe Infokasten)auch anregen, weil die meisten noch nicht so denken, und gerade an technischen Universitäten fehlt die Sensibilisierung überhaupt.

Sie bringen in Ihrem neuen Buch in Dialogen Beispiele, wie sich Menschen das gute Älterwerden vorstellen. Wie sehen diese Bilder aus?

Für viele ist es das selbstbestimmte Älterwerden. Es geht also nicht allein darum, wo der Mensch lebt, also im eigenen Heim, was vielen sehr wichtig ist. Man darf das Alter nicht als etwas begreifen, was irgendwann beginnt und dann Bedürfnisse erzeugt. Es geht vielmehr darum, die ganze Lebensspanne und die Entwicklungen zu sehen.

Was bedeutet das konkret?

Dass man nicht nur das Älterwerden an sich, also ab 60 oder 65 Jahren, betrachtet. Alter lässt sich nicht an einem Punkt festmachen, das Konzept muss sich auf das ganze Leben ausweiten.

Wie altern wir gut?

Gutes Älterwerden ist besser möglich, wenn die Bildung und der sozioökonomische Status gut sind, weil es sich diese Menschen auch leisten können, Information und Beratung zu holen. Es ist noch immer schwierig, das Wissen zu den Menschen zu bringen, die es brauchen. Das hat auch damit zu tun, dass das Älterwerden bei uns tabuisiert ist. Solange wir jung sind, wollen wir uns nicht damit beschäftigen. Neue Technologien müssen sich auf Tabus einstellen, dürfen das Alter nicht hervorheben, sonst bekommen wir sie nicht in die Gesellschaft. Es ist oft mit einem Makel behaftet, wenn ich solche Technologien verwende. Ich gehe etwa nicht mit dem Rollator vor die Tür, weil ich mich geniere.

Die Technologien müssen also auch ein Stück weit cool sein?

Ja. Ein älterer Mensch ist nicht weniger darauf aus, attraktiv zu sein, sich wohlzufühlen als ein jüngerer. Oft hakt es bei Hilfsmitteln an der Eitelkeit, weil sie einfach nicht ästhetisch sind. Das war etwa bei der Entwicklung der Brille so. Die war früher nicht so beliebt, weil man sich zunächst nicht überlegt hatte, wie sie auch schön sein kann. Und heutzutage ist eine Brille überhaupt kein Makel mehr, eher ein Accessoire. Daran sollte sich die Technik ein Beispiel nehmen: Nicht alles, was für Ältere ist, sollte etwa billiges Spitalsgrau haben. Aber drehen wir es um und sagen auch: Älterwerden ist cool. Das ist allerdings sehr schwer in einer Gesellschaft, in der man sich schon ab 30 die Brüste operiert.

Wie vermittelt man das dann?

Über Rollenbilder. Als sich die dänische Königin mit dem Rollator hinausgewagt hat, hat man im ganzen Land festgestellt, dass sich die Menschen mehr trauen. Man darf die Jungen aber in der medialen und der politischen Debatte auch nicht gegen die Alten ausspielen. „Wir können uns die Alten nicht mehr leisten“, lauten teilweise die Überschriften. Der intergenerationelle Beitrag, der von Älteren geleistet wird, etwa auch bei der Freiwilligenarbeit oder in Familien- und Kinderbetreuung, ist enorm. In der Darstellung gibt es oft zwei Polaritäten zwischen dem total fragilen Alten und dem total sportlichen und coolen Alten. Die Realität ist meist irgendwo dazwischen. Es geht darum, wie man ein respektvolles Miteinander forcieren kann.

Welche Chancen bringt AAL nun wirklich?

Sie liegen da, wo Technologien Menschen helfen, den Alltag gut und selbstbestimmt zu managen und trotzdem integriert zu bleiben. Da, wo sie bestimmte Tätigkeiten abfedern und die Zeit dann für anderes, etwa für Gespräche, verwendet werden kann. Es sollten durch die Technologie Kapazitäten frei werden, das wäre das Ideal. Es stellt sich allerdings die Frage, ob das in einer Gesellschaft machbar ist, in der alles immer enger wird.

Besteht also die Gefahr, dass die Technik den menschlichen Kontakt reduziert?

Natürlich, wenn man nicht gegensteuert. Altern heißt bei uns stark: Ich brauche niemanden, ich muss niemanden belasten. Technik kann verstärken, dass Menschen vereinsamen. Eine Managerin in Japan sagt etwa: Die Menschen dürften sich keiner Illusion hingeben. Es wird so sein, dass die Älteren künftig hauptsächlich von Technologie gepflegt werden, überspitzt gesagt, wie Batteriehühner. Natürlich spielt in Japan das Individuum eine andere Rolle, Hierarchien sind stärker ausgeprägt. Wenn ich dort als älterer Mensch nicht mehr so viel beitragen kann, akzeptiere ich das viel eher. Aber sobald eine Technologie in der Welt ist, und sei es in Japan, beginnt man auch bei uns darüber nachzudenken.

Bleibt der Mensch also ein Stück weit auf der Strecke?

Was passiert, wenn sich ein Pflegeheim etwa dazu entschließt, dass dort Sensorschuhe getragen werden? Dabei zeigen Sensoren in Haus- und anderen Schuhen, wo die Menschen sind und ob sie normale Bewegungsmuster haben. Sie können auch Abweichungen melden, etwa wenn eine Person nicht aufgestanden oder hingefallen ist. Da beginnt man zuerst einmal mit dem Versuch, dann zeigt sich die ökonomische Ersparnis – man braucht weniger Betreuung. Dann ist die Technologie da und fraglich ist, was passiert, wenn das jemand nicht tragen möchte.

Technikfolgenforschung zeigt oft Probleme auf. Wie gelingen denn Verbesserungen bei AAL?

Wir wollen AAL nicht schlechtreden. Es geht darum, die brennenden Fragen vorab zu stellen. Verbesserungspotenzial gibt es ganz bestimmt bei der Bedürfnisorientierung der Technologien. Mitunter gibt man diese den potenziell Bedürftigen, sie werden dann aber nicht verwendet. Eine deutsche Forscherin erzählte kürzlich in einem Vortrag von einem morgendlichen Wecksystem: Öffnet eine Person die Rollos nicht, wird sie angerufen. Als eine ältere Dame eine Zeit lang schlecht schlief und weiterschlafen wollte, stand sie auf, öffnete die Rollos und legte sich wieder hin. Man kann alles austricksen. Aber es geht vor allem darum, dass die Leute nicht Dinge tun müssen, die ihnen total unangenehm sind.

Werden wir also immer mehr zu Geiseln der Technik?

Noch ein Beispiel: Eine andere ältere Dame hat in einem Projekt einen Prototyp getestet. Als der Versuch vorbei war, fragte sie: „Wofür war eigentlich dieser Knopf?“ Sie wollte nicht unhöflich sein und unterbrechen und hatte sich daher nicht getraut, die Versuchsleiterinnen danach zu fragen. Wir können nur sehen, was uns gezeigt wird. Und da müssen wir als Technikentwickler aber auch davon ausgehen, dass uns nicht alles gezeigt wird. Es ist unsere Aufgabe als Technikfolgenabschätzer zu fragen, wie man Technik so gestalten kann, dass sie die Menschen auch tatsächlich unterstützt.

Wo sehen Sie die Grenzen der technischen Entwicklung?

Technologie muss Technologie bleiben. Sobald Roboter so ausschauen wie Menschen, gibt es Befürchtungen, dass das Gegenüber ersetzt wird. Wenn aber die Technologie ein Hilfsmittel ist, das uns ermöglicht, mit der Umwelt zu kommunizieren, ist das viel leichter annehmbar. Ob sich das verändern wird, lässt sich noch nicht sagen. Auch eine Abschaltbarkeit ist gefragt. Die Leute wollen ganz klar etwas, was sie selbst unter Kontrolle haben. Und Technik ist nicht alles. Es geht auch um soziale Innovationen, etwa Wohngemeinschaften oder neue Betreuungsformen. In Dänemark gibt es etwa eine Community Nurse, die in der Nacht – ähnlich wie bei einem Babyfon – mit älteren Menschen verbunden ist, die sich fürchten, dass sie hinfallen könnten oder etwas brauchen und niemand da ist.

Wie schätzen Sie die zeitliche Perspektive ein? Werden Sie und ich im Alter bereits von Robotern gepflegt?

Schätzungen sprechen von 20 Jahren, bis die Technologie so ausgereift ist, dass sie dann tatsächlich auch eingesetzt wird. Für mich persönlich hängt die Akzeptanz von vielen Faktoren ab. Werde ich von einem menschenähnlichen Roboter gepflegt, der versucht, mit mir ein intelligentes Gespräch zu führen? Oder ist das einfach nur eine Hebemaschine, die ich selbst steuern kann? Sind es Geräte, die mir die Freiheit geben, Zeit mit meinen Kindern und Verwandten zu verbringen, ohne dass sie mich wickeln oder füttern müssen? Ich kann mir vorstellen, mit viel Technologie alt zu werden, aber ich möchte darüber bestimmen, soweit ich das kann. Die Technologie soll sich dem Menschen anpassen, nicht umgekehrt.

ZUR PERSON

Ulrike Bechtold (40) studierte Biologie, Anthropologie und Humanökologie an der Universität Wien und der Freien Universität Brüssel. Sie ist seit 2007 wissenschaftliche Mitarbeiterin des Instituts für Technikfolgenabschätzung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Umgebungsgestütztes Altern ist einer ihrer Forschungsschwerpunkte. Kürzlich hat sie gemeinsam mit Informatiker Uli Waibel und Ingenieurin Mashid Sotoudeh ein Buch herausgegeben.

Das „DiaLogbuch AAL – Dialoge zu Active and Assisted Living“, verlegt von der Österreichischen Computer Gesellschaft und gefördert vom Technologieministerium, bietet in Dialogen eine umfassende Zusammenschau zum Einsatz von Kommunikationstechnologien für ältere Menschen. Die Autoren wollen Hinweise geben, wie Technik und Rahmenbedingungen gestaltet werden können, um positive Effekte zu bewirken. Es ist das Resultat aus zwei EU-Forschungsprojekten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.07.2016)

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