Brexit als „Weckruf für die Wissenschaft“

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EU-Forschung.Weniger Konkurrenz, aber auch weniger Spitzenforschung: Diese Auswirkungen mag der Brexit auf die wissenschaftliche Zusammenarbeit innerhalb Europas haben, fand man an der WU und bei FAS-Research heraus.

Nicht nur Zauberlehrlinge pilgern nach Großbritannien: „Viele Nachwuchswissenschaftler zogen in den vergangenen Jahren von den europäischen Mittelmeerstaaten in Richtung Nordwesten“, sagt André Martinuzzi, Leiter des WU-Instituts für Nachhaltigkeitsmanagement. „Großbritannien hat sehr davon profitiert. Derzeit sind rund 3000 Jungforscher dank eines EU-Tickets auf der Insel.“ Tritt das Land allerdings aus der EU aus, fällt diese Tür zu: „Das wird zu einer Umorientierung in kontinentaleuropäische Länder führen, abhängig von den jeweiligen Forschungsfeldern oder Schwerpunkten dort.“ Austauschprogramme wie das nach Marie Curie benannte – sie selbst zog der Naturwissenschaft wegen von Polen nach Frankreich – wären besonders davon betroffen.

Diese und andere Auswirkungen eines Brexit ermittelte Martinuzzi gemeinsam mit FAS-Research, basierend auf Daten zur innereuropäischen Forschungszusammenarbeit der vergangenen zehn Jahre: Die Forscher analysierten das Netzwerk der EU-Rahmenprogramme, die die Forschungsförderung der Europäischen Union bündeln, für den Fall des britischen Austritts. Diese Förderungen gingen zuletzt in großem Maß auch an Großbritannien (siehe Grafik). Allerdings heißt das nicht, dass mehr im Topf bleiben wird, wenn die Briten ausscheiden: Sie fallen dann schließlich auch als Einzahlende weg.

Freilich, für kontinentale Unis wäre ohne Großbritannien die Konkurrenz um Fördermittel nicht mehr so groß. Gleichzeitig aber gehe eine Speerspitze des Wissens verloren, so Martinuzzi: „Es gibt kein zweites Cambridge, keine zweite London School of Economics.“ Die Briten haben diese Vorreiterrolle in erster Linie aufgrund ihrer starken Zukunfts- und Effizienzorientierung: „Großbritannien ist das Ursprungsland evidenz- und wissenschaftsbasierter Politik, als Alternative zu einer Politik die primär auf Ideologien und Interessen beruht. Es hat auch als Erstes die große gesellschaftliche Bedeutung von Wissenschaft und Innovation erkannt und dies im Management von Universitäten berücksichtigt.“

(c) Die Presse

Kurzfristig ändert sich wenig

Die angewandte Forschung in Unternehmen hingegen richte sich schon jetzt stärker an Deutschland aus, sagt der Nachhaltigkeitsforscher – allerdings auch wieder abhängig vom Fachbereich: Projekte der Gesundheitsforschung haben eher Partner aus Großbritannien, jene mit Fokus auf Umwelt, Informations- und Kommunikationstechnolgie eher aus Deutschland.

Kurzfristig jedenfalls werde sich kaum etwas im europäischen Forschungsraum verändern, selbst wenn parallel Brexit-Verhandlungen starten, sagt Martinuzzi: „Zu laufenden Projekten gibt es Förderverträge, in die nicht eingegriffen werden kann. Die Frage ist eher, welche Regelungen für die Zeit nach dem Brexit getroffen werden. Als Beispiele könnten die bilateralen Abkommen mit Norwegen und der Schweiz dienen.“ Diese können an Projekten teilnehmen, werden aber nicht automatisch mit EU-Geldern unterstützt.

Der Nachhaltigkeitsforscher weist auch darauf hin, dass der Brexit „ein Weckruf für die Wissenschaft sein könnte, die Bürger besser in Forschungsprojekte zu integrieren, ihre Bedürfnisse zu berücksichtigen“. Dass sich daraus vielleicht innovativere Ideen und nachhaltigere Lösungen ergeben, sei ein positiver Nebeneffekt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.08.2016)

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