Wie lang hält die Batterie?

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Der Mensch hat sich die Erde untertan gemacht, er floriert. Aber sein Energiehunger lässt sich auf Dauer nicht stillen. Man kann die Frist berechnen.

Kein Befehl in der Weltgeschichte entfaltete eine derartige Wirkung – auch bei denen, die ihn nie vernommen haben – wie der, die Menschen mögen sich die Erde untertan machen. Das haben wir so eifrig getan, dass wir das sechste Massensterben eingeläutet haben und die erste vom Menschen gemachte Epoche der Erdgeschichte, das Anthropozän. Bei dem streitet man nur noch darüber, wann es begann, mit der Atombombe Mitte des 20. oder der Industrialisierung Anfang des 19. Jahrhunderts. Oder viel früher.

Letzteres legt eine Bilanz nahe, in der Nicole Bovin (Oxford) nachzeichnet, wann und wie der Mensch sich breit- und alle anderen schmal gemacht hat (Pnas 113, S. 6388): „Unberührte Landschaften gibt es schon lang nicht mehr“, heißt der Befund, er wird in drei Schritten entfaltet, beginnend mit dem, mit dem sich Homo sapiens vor 70.000 Jahren aus Afrika aufmachte in die weite Welt, vor 50.000 Jahren war er in Australien. Zur gleichen Zeit verschwand dort der Großteil der Megafauna, zu ihr zählt man alle Tiere mit mehr als 45 Kilo. Sie verschwand auch sonst überall, wo er hinkam – vor 50.000 Jahren zählte die Megafauna 150 Arten, vor 10.000 Jahren waren 97 weg –, und das war keine Koinzidenz, das zeigte sich etwa vor 12.000 Jahren in Amerika. Die Menschen waren noch nicht lang da, aber sie hatten schon abgeräumt: fast alle anderen Großen, von Elefanten (Mammuts, Mastodons) bis zu Riesenfaultieren und Kamelen.

Die wurden Opfer einer Mischung aus „Blitzkrieg“ und „Sitzkrieg“, Jagd und Umbau der Erde, vor allem durch Brandrodung. Als die Großen weg waren, war es auch all das, was sie geleistet hatten, die Verbreitung von Samen etwa über große Distanzen. Oder die Düngung eines halben Kontinents: Die Böden Amazoniens sind extrem nährstoffarm, vermutlich deshalb, weil die großen Graser dezimiert wurden, die Nährstoffe mit ihrem Kot und ihren Kadavern weit verbreitet hatten: „Die Region verlor ihre Nahrungsarterien“, schloss Christopher Doughty (Stanford), er hat es durchgerechnet (Nature Geoscience 8, S. 761). Nordamerika traf es nicht so hart, weil zwei große Graser überlebt hatten, Bisons und Karibus. Aber der Verlust der ganz Großen, der Elefanten, zeigte sich: Sie hielten die Savannen nicht mehr kurz, die verwandelten sich in Wälder, damit wandelte sich die Albedo, sie gibt an, wie viel Sonnenlicht reflektiert wird. Wälder schlucken mehr als Gras, das brachte Erwärmung, regional ein Grad, gerechnet hat wieder Doughty, er titelte mit Vorsicht: „The first human-induced global warming?“ (Geophysical Research Letters 37, L15703).

Das Fragezeichen entfällt beim zweiten großen Umbau der Erde, dem der Neolithischen Revolution, in der die Menschen vor 11.000 Jahren die Landwirtschaft erfanden und sesshaft wurden. Wieder mussten Wälder weichen, das brachte vor 7000 Jahren Erwärmung, die CO2-Gehalte stiegen. Diesmal hat William Ruddiman (University of Virginia) gerechnet – unklar ist, ob er auch die Albedo berücksichtigte und ob Doughty das umgekehrt mit dem CO2tat –, vor 5000 Jahren kam noch ein anthropogenes Treibhausgas, Methan aus Reisanbau in überfluteten Feldern (Climate Change 61, S. 261).


Transportierte Landschaften. Aber die Neolithische Revolution zerstörte nicht nur, sie schuf auch, durch Domestikation: Die wichtigsten Nutzpflanzen entstanden so, und Haushühner gibt es heute dreimal so viele wie Menschen, Joe Bull (Kopenhagen) hat bilanziert (Proc. Roy. Soc. B 29. 6.). Viele Novitäten gingen im dritten Schritt mit auf Reisen, hin zu den letzten Refugien der Natur, den entlegensten Inseln. Immer war mit an Bord, was Patrick Kirch (Berkeley) „transportierte Landschaften“ nannte, 40 Pflanzenarten in Polynesien, Tiere auch, Ratten gar, als Proviant. Mit all dem wurde weiter umgebaut – die Südseeidyllen sind Natur aus zweiter Hand –, auch unabsichtlich, entlaufene Ratten entwaldeten mit ihrem Hunger auf Baumsamen ganze Inseln, vielleicht auch die Osterinseln, es ist trotz Jared Diamonds erfolgreichem Buch wenig klar, was sie in den Kollaps trieb.

So zeigten sich Kehrseiten, aber die Menschheit floriert: Vor 5000 Jahren gab es 20 Millionen von uns, 2010 waren es 350-mal so viele, sieben Milliarden. Die lebten zudem besser und länger denn je: Ein Bürger des Römischen Reichs hatte eine Lebenserwartung von kaum 25 Jahren, 2010 lag sie in reichen Ländern bei 80 Jahren, ihre Bewohner hatten im Schnitt 40.000 Dollar im Jahr zur Verfügung, bei den Römern waren es nach heutiger Kaufkraft 500 bis 1000, die Bilanz ist von Vaclav Smil, und der mahnt lang schon, dass es ewig so nicht weitergehen kann (Population and Development Review 37, S. 613).

Andere tun es auch, sie bilanzieren Grenzen des Wachstums oder ökologische Fußabdrücke oder die Übernutzung der Ressourcen – die für das heurige Jahr sind morgen verbraucht, am 8. August, da ist der vom WWF errechnete „Welterschöpfungstag“ –, Gehör finden sie kaum. So versucht es James Brown (Albuquerque) mit einer neuen Metapher, der einer Erde-Weltall-Batterie (Pnas 112, S. 9511): Die Erde ist die Kathode, in der in Form von chemischer Energie all das steckt, was verbraucht werden kann. Durch den Verbrauch fließt es ab zur Anode, dabei wird die Energie umgewandelt und entwertet, zu Wärme, die ins All entweicht.

Und wo kommt all das her, was in der Kathode steckt? Von der (außer Radioaktivität) einzigen Energiequelle, die wir haben, der Sonne, und vom zentralen Weg ihrer Nutzung, der Fotosynthese. Nun ist versammelt, was Brown für seine Rechnung braucht, in ihr geht es um Omega, das Ende: Ω = PBN. P ist die Pflanzenmasse, N der Durchschnittsverbrauch, B die Kopfzahl. Heute verbraucht ein Mensch 74,6 x 109 Joule pro Jahr, wir sind sieben Milliarden, macht 522,2 x 1018. Dem stehen zwei Zetajoule (1021) aus der jährlichen Produktion der Pflanzen gegenüber und 19 ZJ aus den Vorräten, fossilen Reserven. Bleiben, gerechnet für das Jahr 2000 1029 Jahre.

Hält die Batterie so lang? Nein, wir schreiben 2016, und die Entladung läuft nicht linear, sie schießt seit Mitte des 20. Jahrhunderts fast senkrecht in die Höhe. Und: „Die globale Biosphäre, die menschliche Population und ihre Ökonomie werden offenkundig zusammenbrechen, lang bevor Ω = 1 ist.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.08.2016)

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