Exoten im All: Wir

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US-SCIENCE-ASTRONOMYAPA/AFP/NASA/JPL-CALTECH
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Trotz des Fundes dieser Woche: Kaum ein Exoplanet passt in unser Planetensystem und die an ihm entwickelte Theorie der Entstehung aller.

Nun ist er also gesichtet, der erste Planet außerhalb unseres Systems, der etwa die Größe der Erde hat und vielleicht auch flüssiges Wasser: Proxima Centauri b, in seinem Namen steckt der seines Muttergestirns, und das heißt so, weil es der nächste Nachbar der Sonne ist, 4,2 Lichtjahre weit weg.

So einen hat man lang gesucht: Als man 1995 den allerersten Exoplaneten entdeckte, 51 Pegasi b, wurden die Gesichter so lang wie breit. Breit vor Freude, und lang deshalb, weil der Fund rätselhaft war: Er war riesengroß, hatte die halbe Masse des eisigen Gasplaneten Jupiter – der hat 318-mal so viel wie die Erde –, aber er umkreiste sein Muttergestirn extrem eng, in nur vier Tagen. Der 0,055 Erdmassen winzige Merkur, der innerste Planet unseres Systems, braucht 68. War 51 Pegasi b ein Exot? Nein, die nächsten Funde waren ähnlich, man nannte sie heiße Jupiter. Das klang verdächtig an „hölzernes Eisen“ an: Nach allem, was man wusste, konnte es solche Planeten nicht geben.

Und fast alle anderen 3500, die man inzwischen kennt, auch nicht: Viele sind Supererden, haben die vielfache Massen unseres Planeten, sind oft zu mehreren und ziehen in geringem Abstand um ihre Sterne, manche in elliptischen Bahnen, andere rückwärts, gegen die Drehrichtung des Sterns. Nichts passt ins Bild unseres Planetensystems und die an ihm entwickelten Theorie der Entstehung aller. Die geht so: Am Anfang ist eine Wolke aus rotierendem Staub und Gas, sie bricht unter ihrer Gravitation zusammen. Das meiste Material bildet ein Zentralgestirn, das in Kernfusion zündet und verbrennt, der Rest kreist als Scheibe darum herum.

Die besteht vor allem aus Gas, Staub ist wenig dabei, aber wenn Körnchen aufeinander treffen, können sie sich elektromagnetisch zusammenballen, bis zu kilometergroßen Planetesimalen. Irgendwann übernimmt die Gravitation: Sie zieht kleinere Planetesimale in größere hinein und den restlichen Staub bzw. die Gase auch. Davon ist in der Nähe des Sterns allerdings bald nichts mehr da, sie sind entweder von ihm aufgenommen oder von seinem „Wind“ verblasen – den Teilchen, die er aus sich herausschleudert –, deshalb werden innere Planeten Steinplaneten mit dünnen Atmosphären. Weiter draußen kommt die Snow Line, hinter ihr ist es so kalt, dass Wasserdampf gefriert, dieses zusätzliche Material – das Eis – erlaubt eine raschere Bildung der äußeren Planeten, sie haben einen Kern von fünf bis zehn Erdmassen, der zieht viel Gas an, so entstehen Riesen wie Jupiter.

Je weiter draußen sie sind, desto kleiner werden sie wieder, weil sie weniger Material sammeln können. Und wo sie einmal sind, das ist der Schlussstein, da bleiben sie auch. Die Theorie passt, für unser Planetensystem – mit Einschränkungen, wozu gleich –, für alle anderen passt sie nicht: Heiße Jupiter etwa hätten nie so nahe an ihren Sternen entstehen können, es gab dort nicht genug Material. Sind sie von weit herein gewandert, durch ihre Gravitation, die in der planetaren Scheibe dichtere Regionen bildete, die ihrerseits die Planeten nach innen zogen?


Wanderer. Eine Hypothese vermutet das. Und ausgeschlossen ist es nicht, auch bei uns hat es wohl Wanderungen gegeben, darauf deutet etwa, dass manche Nachbarn ihre Bahnen in stabiler Resonanz ziehen: Die Umlaufzeiten stehen in einem fixen ganzzahligen Verhältnis zueinander. So ist es etwa bei Pluto – sei er nun ein Planet oder nicht – und Neptun: Wenn Letzterer zwei Umläufe vollendet hat, sind es bei Ersterem drei. Ein Zufall wird die beiden kaum in solche Positionen gebracht haben, sie müssen gewandert sein und sich dann ins Benehmen bzw. die Bahnen gesetzt haben.

Vielleicht waren auch viel größere Planeten einmal unterwegs, Jupiter etwa. Der entstand einem Szenario zufolge in einer Entfernung von 3,5 Astronomischen Einheiten (AE) von der Sonne (Erde: 1 AE). Dann wurde er durch den Staub der protoplanetaren Scheibe gebremst und zum Zentrum gezogen, auf 1,5 AE. Dort kehrte er um, weil nach ihm Saturn entstanden war, der auch nach innen wanderte und mit Jupiter in eine Resonanz geriet, die beide wieder hinaustrieb, in ihre heutigen Bahnen, Jupiter: 5,2 AE, Saturn: 9,5 (Nature 475, S. 206).

Das Szenario heißt Grand Tack – nach der Wende beim Segeln –, man hat es ersonnen, um etwa zu erklären, warum der Mars kleiner ist als die Erde, obwohl er in seiner weiteren Bahn mehr Material hätte sammeln müssen: Jupiter nahm es weg, als er in Sonnennähe war. Und falls es dort Supererden gab, hat er sie vielleicht so aus ihren Bahnen gebracht, dass sie kollidierten und einander auslöschten.

Sind die heißen Jupiter auch so gewandert, aber innen geblieben? Und woher sind die Supererden? Fest steht nur, dass beide nahe an ihren Zentralgestirnen sind, dort gingen sie den Planetenjägern in die ersten Netze: Bei denen zeigen sich Planeten nur indirekt, an ihrer Wirkung auf ihre Muttergestirne, diese bringen sie mit ihrer Gravitation ins Zittern – so ist es bei der Entdeckung dieser Woche –, und deren Leuchtkraft beeinflussen sie beim Vorbeiziehen: Beides tun sie um so stärker, je näher sie beim Muttergestirn sind, deshalb detektierte man sie als Erste.

Inzwischen hat man Teleskope entwickelt, mit denen man Planeten direkt sichten kann – sie blenden das Licht der Sterne aus –, am leichtesten diesmal diejenigen, die sehr weit weg sind. Sie brachten die nächste Überraschung: Ein Stern, HR 8799 in 130 Millionen Lichtjahren Entfernung, hat vier Planeten, die viel weiter draußen sind als Jupiter, bis zu 65 AE, zudem haben sie viel mehr Masse als er, bis zum 13-Fachen (Science 322, S. 1348). Das ist wieder ein Ding der Unmöglichkeit, so groß kann man in solchen Distanzen nicht wachsen. Aber viele der direkt Gesichteten sind so.

So spielt sich allerorten Verbotenes ab, ganz innen in Planetensystemen, ganz außen auch, in der Mitte kann man noch nicht beobachten. „Die Dinge haben von Anfang an nicht gepasst“, kommentiert Bruce Macintosh (Stanford): „Die Theorie konnte mit den Beobachtungen nie Schritt halten“ (Science 353, S. 438). Wird sie es je können? Roman Rafikov (Princeton) winkt ab: „Die Natur ist viel smarter, als es unsere Theorien sind.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.08.2016)

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