Freunde fürs Leben?

Asia, Indonesia
Asia, IndonesiaJon Cornforth/Danita Delimont/picturedesk.com
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Das Zusammentun verschiedener Lebensformen in Mutualismus ist immer gefährdet. Und seine Konflikte treiben die Evolution voran, auch im Genom.

Wenn zwei ganz verschiedene sich zusammentun zum gegenseitigen Nutzen, dann reicht die Bandbreite von lockerer Zusammenarbeit bis zur Einverleibung des einen durch den anderen. Ein klassisches Beispiel für Ersteres bieten Seeanemonen und Clownfische, die eigenständige Leben führen, aber bessere, wenn sie einander wechselseitig vor Feinden schützen; am anderen Ende der Skala rangieren Wirte und Endosymbionten, von einer dieser Gemeinschaften lebt alles mehrzellige Leben: Irgendwann hat ein Einzeller einen anderen in sich aufgenommen, ihn aber nicht verdaut, sondern ihm Schutz gewährt und sich im Gegenzug seiner Fähigkeiten bedient, ihn als Kraftwerk genutzt, als Mitochondrium. Das alles sieht höchst harmonisch aus, aber ist es das auch, und bleibt es das immer, und, vor allem: Wie wirken sich diese Bindungen auf die Evolution der Partner aus?

Ganz so weit her ist es nicht mit der Freundschaft, das hat Jeff Gore (MIT) an zwei Bierhefen bemerkt, die nur solange gut miteinander auskommen, so lange die Not sie treibt: Beide brauchen eine Aminosäure – die eine Leuzin, die andere Tryptophan –, die bei der jeweils anderen als Müll anfällt, so füttern sie einander, in obligatorischem Mutualismus, sie müssen es tun. Aber dann hat Gore die Konzentrationen der Aminosäuren in der Nährlösung erhöht: Beim ersten Schritt bediente jede Hefe sich noch bei der anderen, aber nicht immer, der Mutualismus war fakultativ geworden. Bei noch mehr Futter schlug alles um, die Kooperation wurde von Konkurrenz abgelöst, am Ende starb die eine Hefe aus, weil die andere alles wegfraß (PLoS Biology 24. 8.).

Aber solange die Umwelten konstant sind, sollten Partner gut miteinander auskommen, sie unterliegen nicht dem Druck der permanenten Evolution. Der herrscht zwischen Konkurrenten um Ressourcen, natürlich auch zwischen Räubern und Beute. In der Fachliteratur firmiert er als „Red Queen Hypothesis“, der Name stammt aus Lewis Carrols „Alice hinter den Spiegeln“, in dem die Rote Königin immer im Eilschritt unterwegs ist: „Hierzulande musst du so schnell rennen, wie du kannst, wenn du am gleichen Fleck bleiben willst.“

So ist das in der Konkurrenz. Im Mutualismus hingegen gibt es keinen Grund zum Hetzen, mehr noch: Es sollte für alle Beteiligten von Nutzen sein, Eingespieltes zu bewahren und den Partner nicht mit Mutationen zu behelligen. Die Theoretische Biologie hat das durchgerechnet und 2003 ein Gegenmodell zur „Red Queen“ postuliert, den „Red King“, er ist behäbig, mutiert kaum (Pnas 100, S. 593).


Mutualismus macht Beine. Aber auch in der Biologie ist die Theorie bisweilen grau: Benjamin Rubin (Chicago) hat die Hypothese empirisch getestet, an Ameisen aus eng verwandten Familien. Die einen leben eigenständig, die anderen haben sich vergesellschaftet, mit Akazien, sie schützen sie vor hungrigen Insektenmäulern und erhalten im Gegenzug süßen Saft. Und ihre Mutationsrate ist – höher als die der eigenständigen (Nature Communications 25. 8.).

Warum ist völlig unklar, Rubin vermutet, es gehe um Anpassung an den Saft. Aber die ist alt. Und in der einzigen anderen Studie, die das Phänomen empirisch geprüft hat – an einem Mutualismus von Flechten und Pilzen – und zum gleichen Befund kam, war nicht die Biologie Triebkraft, sondern die Physik: Der Pilz war durch die Vergesellschaftung in Sonnenlicht geraten, er musste sich gegen UV schützen.

Rein biologisch hingegen geht es in einem Zusammenleben zu, bei dem man lang nicht auf die Idee kam, einer der Partner könnte den anderen in der Evolution vorantreiben: in der eukaryotischen Zelle. Das ist die mit einem Zellkern (und der Masse der DNA) und vielen Mitochondrien: Die haben auch DNA, wenig, in Tieren noch ganze 37 kodierende Gene, sie sorgen für Proteine. Von denen brauchen Mitochondrien aber Hunderte. Die meisten werden vom Rest der Zelle geliefert und von Genen im Kern kodiert. Ja, und? Mitochondrien erneuern sich viel rascher als der Rest der Zelle, sie haben deshalb viel höhere Mutationsraten, brauchen nach kurzer Zeit andere Proteine, als der zurückhängende Zellkern liefert.

„Es ist so, wie wenn beim Tanzen ein Partner in einen anderen Takt fällt“, vergleicht Evolutionsbiologe Daniel Sloan (University of Colorado), ihm und seinem Postdoc Justin Havird ist das Phänomen aufgefallen, an Leimkräutern. Die kommen in zwei Varianten: Bei der einen evolviert das mitochondriale Genom langsam, bei der anderen zwei Größenordnungen rascher. Bei der zieht das Kern-Genom nach, und zwar just bei den Genen bzw. Proteinen, die von den Mitochondrien gebraucht werden (Evolution 69, S. 3069). Ähnliches bemerkte Felipe Barreto (Oregon State University) an Ruderfußkrebsen (Molecular Biology Evolution 30, S. 310). Beide berichteten breit auf der Evolution-Meeting im Juli in Austin (Science 353, S. 334).

Im Anschluss wurde dann auch in extenso spekuliert über die möglichen Auswirkungen des Konflikts im Genom. Er könnte etwa die Artbildung vorantreiben, dadurch, dass der Tanz bei manchen Mitgliedern einer Art hermonischer verläuft als bei anderen, Letztere werden schwächer, das weiß man, möglicherweise können sie sich mit Ersteren irgendwann nicht mehr reproduzieren, sind also eine Art geworden. Andere vermuten einen Einfluss auf die Partnerwahl: Geoff Hill (Auburn University) ist an Finken-Männchen etwas aufgefallen: Ihr Gefieder ist unterschiedlich rot gefärbt – das kräftigste sticht Weibchen am verlockendsten in die Augen –, und das zuständige Pigment gibt es auch in Mitochondrien. Möglicherweise erlaubt also die Farbe des Gefieders Auskunft darüber, wie gut bzw. schlecht die beiden Genome aufeinander eingespielt sind: wie fit ein Männchen ist.

„Provokativ und aufregend“ nannte Sloan diese Idee, David Rand hingegen (Brown University) winkte eher ab: „Der Enthusiasmus“ bezüglich der evolutionären Triebkraft des Konflikts im Genom decke „sich nicht mit der Empirie“. Andere hingegen treiben die Spekulationen ins Extrem, Havird etwa (Bioessays, September 2015): Er sieht das alte Rätsel, wozu es sexuelle Reproduktion gibt, dadurch gelöst, dass dabei Kern-Genome stark durcheinandergewürfelt werden, um besser mit den mitochondrialen mithalten zu können.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.10.2016)

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