Immuntherapie mit kleinen Stückchen

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Laborgl�ser(c) Erwin Wodicka - BilderBox.com (Erwin Wodicka - BilderBox.com)
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Biotechnologie.Eine Entwicklung aus Österreich findet weltweit Anklang: Fragmente von Antikörper-Molekülen werden so präpariert, dass sie Krebszellen gezielt finden und diese für das Immunsystem sichtbar machen.

Die Idee kam den Forschern ganz spontan: Wenn es Aufgabe von Antikörpern ist, alles zu binden, was im Körper als fremd oder krank erkannt wird, warum nicht noch mehr Bindungsstellen an Immunproteinen schaffen, wo die Natur keine vorgesehen hat? Damit könnte man therapeutische Antikörper im Labor noch gezielter designen, oder „engineeren“, wie Biotechnologen sagen.

Florian Rüker war vor einigen Jahren Dozent am Institut für angewandte Mikrobiologie der Boku und konnte mit den dort vorhandenen Technologien tatsächlich neue Bindestellen in Antikörper-Moleküle einfügen. Er gründete das kleine Start-up F-star, das mit fünf Mitarbeitern in den Räumlichkeiten der Boku in der Muthgasse begann.

Wenige Jahre später war das Christian-Doppler-Labor für Antikörperengineering als Forschungspartner an Bord. Schnell weckte das Start-up das Interesse der Wissenschaftscommunity. So wuchs F-star beständig, siedelte vorerst nach Wien Liesing und bald nach Cambridge in England, den Hotspot der Antikörper-Technologie. Heute hat F-star über 60 Mitarbeiter und kooperiert mit Forschern und Pharmafirmen der ganzen Welt.

Die ursprüngliche Form des häufigsten Antikörpers, der im Körper von Plasmazellen gebildet wird, ist ein Ypsilon: ein Stängel und zwei Arme. An der Spitze jedes Arms gibt es Strukturen, die ganz spezifisch an Eindringlinge, Keime oder entartete Körperzellen binden. So markiert der Antikörper die Zelle, die eliminiert werden soll: Er hängt sich selbst quasi als „Mascherl“ dran, damit das Immunsystem weiß, wo es aktiv werden soll.

Kommunikation im Stängel

„Die Kommunikation mit den Immunzellen übernehmen Regionen im Stängel des Ypsilons“, erklärt Christian Obinger, der das CD-Labor für Antikörperengineering leitet. Dessen siebenjährige Laufzeit endet nun im Dezember.

Genau auf diesen Stängel des Ypsilon konzentrierte sich die Forschung von F-star und des CD-Labors. Das Team konnte die Arme mit ihren Bindungsstellen vom natürlichen Antikörper-Molekül abtrennen und neue Bindungsstellen im unteren Ende des Stängels integrieren. Sie nannten diese weltweit einzigartige Erfindung, die nun viel kleiner ist als ein ganzer Y-Antikörper und trotzdem Fremdkörper binden und mit dem Immunsystem kommunizieren kann, Fcab.

„Bestimmte Regionen dieser neuartigen Antikörperproteine haben wir Stück für Stück verändert“, sagt Obinger. Man kann es sich wie basteln mit Lego vorstellen: Hier einen Baustein durch einen anderen ersetzen, dort ein Stück neu einfügen. Doch, wie jeder Lego-Architekt weiß: Veränderungen können zu Instabilität führen.

Mit Proteinen angeln gehen

Daher war die erste Aufgabe der Forscher, Positionen auszuschließen, die bei Veränderung das Protein destabilisieren. Denn das Ziel ist, Antikörper-Fragmente stabil zu designen, damit sie als Arznei im Körper zum Einsatz kommen, um Krebszellen oder Krankheitserreger für andere Immunzellen zu markieren. Die Forschung an sogenannten monoklonalen Antikörpern, die etwa für Immuntherapien gegen Krebs eingesetzt werden, boomt weltweit: Neukreationen von therapeutischen Antikörpern, die sich instabil verhalten, sind als Medikament nicht tauglich.

Nachdem klar war, welche Positionen in den Y-Stängel-Molekülen verändert werden durften, bauten die Forscher sogenannte Proteinbibliotheken, indem sie Aminosäure für Aminosäure veränderten.

Dabei entstehen Hunderte Milliarden von Varianten dieser Proteine im Labor. Gibt man zu der Proteinbibliothek dann Oberflächenproteine – also Antigene – der unterschiedlichen Krebszellen oder Krankheitserreger hinzu, kann man quasi „angeln gehen“. Denn jedes Antigen sucht sich genau das Fcab-Stückchen, mit dem es am besten zusammenpasst, und bleibt wie an einer Angel daran hängen.

Zwei Feinde gleichzeitig fangen

„Besonders stolz macht uns, dass wir die Interaktion zwischen Fcabs und Antigenen mithilfe von Röntgenkristallografie auch dreidimensional darstellen konnten. In so hoher Auflösung, dass man jedes Atom sieht“, sagt Obinger. Einige Fcabs sind sehr vielversprechend und werden bereits in klinischen Studien getestet.

„Auch die Firma Merck ist ins CD-Labor als Industriepartner eingestiegen“, sagt Obinger. Der Pharmariese ist – wie viele andere – auf der Suche nach Antikörpern, die zwei verschiedene Antigene gleichzeitig binden. Eine solche Entwicklung kann Immuntherapien noch effizienter machen.

Das Team des CD-Labors bastelte die Y-Moleküle so, dass ein Arm an Antigen eins bindet und der andere an Antigen zwei. „Wir können aber auch beide Y-Arme an Antigen eins binden lassen und in den Stängel eine Bindungsstelle einfügen, die an Antigen zwei bindet – für neue effiziente therapeutische Antikörper“, verrät Obinger. Wie es nach dem CD-Labor weitergeht, ist noch unklar. Die Boku-Forscher planen neue Kooperationen, etwa mit der St.-Anna-Kinderkrebsforschung, um die Effizienz moderner Immuntherapien weiter zu steigern.

IN ZAHLEN

100 Millionen Antikörper bildet unser Körper auf natürliche Weise.

2Arme hat das natürliche Antikörper-Molekül mit Bindungsstellen, die an „Antigene“ andocken – das sind u. a. Proteinstrukturen auf der Oberfläche von erkrankten Zellen oder von Krankheitserregern wie Bakterien oder Viren.

Milliarden Varianten des therapeutischen Antikörperformats Fcab wurden in Wien für sogenannte Proteinbibliotheken erschaffen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.10.2016)

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