Waschmaschine rettet Kulturschätze

Blaetter eines Buches
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Physikalische Chemie.Rund 80 Prozent des kulturellen Erbes, das von 1840 bis 1950 auf Papier festgehalten wurde, droht zu zerbröseln. Eine Grazer Erfindung soll es davor bewahren.

Manches erinnert tatsächlich an einen Haushalt. Die Waschmaschine steht im Keller. Sie lässt sich – gleich einem Toplader – von oben befüllen, lediglich sechs Schrauben sind zuvor zu lösen. Deckel auf, Ladung hinein, und schon geht es los. Rumpeln ist allerdings keines zu hören. Die Chemikalien im Inneren strömen leise aus, nur die Anzeige verrät, dass der Druck langsam auf zwei Bar steigt. Ein „Waschgang“ dauert eine halbe Stunde, dann kommt alles in einen Korb. „Wir müssen warten, bis die verwendete Lösung völlig verdampft ist“, erklärt Volker Ribitsch vom Institut für Chemie der Universität Graz.

Mit einem neuen Verfahren bekämpft er seit Kurzem den Verfall alter Bücher, an denen der Zahn der Zeit nagt. Mehr als ein Jahrhundert lang, von 1840 bis 1950, wurde für die Papierherstellung nämlich Alaun benutzt. Das schwefelsaure Doppelsalz von Kalium und Aluminium bildet mit der Zeit allerdings Schwefelsäure – und diese baut die Zellulose ab. Dies lässt literarische Werke, aber auch Zeitdokumente wie Geburtenbücher oder Kunstwerke, über die Jahre spröde werden und regelrecht zerbröseln.

Alleiniges Papier für Notizen

Auch wenn er bereits zu Zellulose forschte, sei er zum Projekt gekommen „wie die Jungfrau zum Kind“, sagt Ribitsch. „Ich wusste vorher gar nicht, dass Bücher zerfallen.“ Die akademische Restauratorin Patricia Engel von der Donau Uni Krems trat schließlich vor vier Jahren mit dem Problem an ihn heran. Immerhin droht europaweit rund 40 Millionen Artefakten der Zerfall.

„Das sogenannte Holzschliffpapier wurde einst in Europa als alleiniges Papier verwendet, und zwar nicht nur für Bücher, sondern auch für jede handschriftliche Notiz“, sagt Engel, Leiterin eines europaweiten Forschungszentrums zur Rettung von Schrifterbe und grafischem Erbe. Damit seien sämtliche Niederschriften aus den beiden Weltkriegen betroffen, aber genauso Notizen aus den Anfängen des Kalten Kriegs.

Das Prinzip, mit dem sich das Problem bekämpfen ließe, war Ribitsch rasch klar: „Ich wusste, wir müssen Nanopartikel im Material verteilen, die die Schwefelsäure neutralisieren.“ Die Frage sei also vor allem gewesen, wie man das zustande bringt, schmunzelt er. Zumal sich Bücher auch nicht mit wässrigen Medien behandeln lassen; sie quellen auf.

Gemeinsam mit seinem Team baute er eine Maschine und entwickelte ein neues Verfahren. Eine Mischung aus Magnesium- und Calciumhydroxydteilchen sollte die Säure neutralisieren. Damit sich diese gut verteilen, setzen die Forscher die Anlage unter Druck. Dabei drohten die einzelnen Partikel allerdings zusammenzuwachsen – ein normaler chemischer Vorgang. „Kleine Partikel versuchen ihre Oberfläche zu reduzieren, indem sie Aggregate bilden, also zusammenwachsen“, erklärt Ribitsch. Ein Schutzmantel aus Zellulose, der sich um die Nanopartikel legt, verhinderte das schließlich.

Das stellte sich als geniale Idee heraus. Denn so ließe sich nicht nur der Zerfall des Materials stoppen, sondern zugleich auch die mechanische Festigkeit erhöhen, erzählt Engel. Die vom Wissenschaftsministerium über das Prize-Programm der Austria Wirtschaftsservice GmbH (aws) geförderte Erfindung wurde bereits zum Patent angemeldet. Das Interesse ist groß: Vertreter mehrerer europäischer Sammlungen haben bereits Interesse bekundet, darunter auch die der englischen Oxford University.

Besser eckig als rund

Bisher fasst der Prototyp der Bücherwaschmachine allerdings nur sechs Druckwerke im Taschenbuchformat. Rund 100 Kilo Bücher sollen es einmal sein, geht es nach Ribitsch. Damit mehr auf einmal hineinpassen, könnte in der weiteren Entwicklungsarbeit mit der Waldviertler Druckerei Berger und dem Jaidhof'schen Forstgut aus dem zylindrischen Kessel ein eckiges Gerät werden.

Der Chemiker hat parallel dazu jedenfalls schon die nächste Erfindung gemacht: einen Sensor, der erkennt, ob Verpackungen mit Schutzgasatmosphäre, wie man sie für Wurst, Käse, Nüsse oder andere Lebensmittel verwendet, noch dicht sind. Dringt nämlich Sauerstoff ein, verderben diese. „Niemand konnte das bisher messen, ohne die Packung zu zerstören“, sagt er stolz.

IN ZAHLEN

500Kilometer lang wären die Regale österreichischer Archive aneinandergereiht. Das entspricht in etwa der Strecke von Graz nach Augsburg.

80Prozent der Bücher und sonstiger Drucke von 1840 und 1950 sind gefährdet. In dieser Zeit verwendete man Alaun für die Bücherproduktion: Dieses reagiert mit Feuchtigkeit u. a. zu Schwefelsäure und zersetzt das Material.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.11.2016)

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