Die Demenz ist am Abebben

Eine Krankenschwester versorgt am 03 07 13 eine Bewohnerin auf der Demenzstation des Pflegeheims Hau
Eine Krankenschwester versorgt am 03 07 13 eine Bewohnerin auf der Demenzstation des Pflegeheims Hau(c) imago/epd (imago stock&people)
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Höhere Bildung und höheres Körpergewicht senken den Altersverfall des Gehirns, aus ganz unklaren Gründen. Die Pharmakologie hingegen hat gerade bei Alzheimer einen herben Rückschlag erlitten.

Man möge bitte die zehn Hauptwörter, die einem vorgelesen werden, wiederholen, und nach einer kurzen Pause noch einmal; man möge bitte von der Zahl 100 die Zahl 7 subtrahieren, und vom Ergebnis wieder und so weiter; man möge bitte von 21 rückwärts zählen. Das sind Fragen, mit denen der größte Schrecken der alternden Gesellschaft getestet wird, der des Verfalls des Gehirns in die Demenz, für deren unendliche Varianten stellvertretend der Name Alzheimer steht.

Die Ursachen dieser Alterskrankheit liegen im Dunkeln, sie hat zwei Begleiterscheinungen, Ablagerungen im Gehirn. Vor allem die einen, Amyloid-Plaques, gelten als Kandidaten für die Verursacher, man versucht, sie mit Antikörpern zu neutralisieren. Aber der bisher größte klinische Test ist gerade misslungen, die Pharmafirma Eli Lilly hat ihn mit der Substanz Solanezumab über 18 Monate an 2100 Personen mit milder Demenz unternommen. Die Hälfte erhielt ein Placebo, ihr ging es am Ende nur unwesentlich schlechter.

Das kann daran liegen, dass man bei den Plaques auf ein völlig falsches Ziel losgeht, so sieht es etwa George Perry, Hirnforscher der University of Texas: „Die Amyloid-Hypothese ist tot“ (Naturenews 23. 11.). Er ist mit dieser Meinung nicht allein, aber andere halten an der Hypothese fest: Das Testergebnis könnte auch daran liegen, dass Demenz nicht einmal in frühen Stadien therapierbar ist. Sondern nur präventiv, Eli Lilly will das mit Solanezumab in der nächsten Runde testen.

Seit zehn Jahren 25 Prozent Rückgang

Aber vielleicht kommen die Alterskrankheiten des Gehirns gar nicht (nur) von ihm selbst, sondern von kaum Durchschautem. Darauf deutet, dass viele epidemiologische Studien gezeigt haben, dass die Demenzraten in Industrieländern in den vergangenen zehn Jahren um etwa ein Viertel zurückgegangen sind. Die Studien waren klein, sie stammen etwa aus Wales oder den Niederlanden. Nun werden sie von einer großen in den USA bestätigt: Kenneth Lange vom National Institute of Aging hat für die Jahre 2000 und 2012 die Daten von 21.000 Amerikanern ausgewertet, die über Jahre an der Health and Retirement Study teilnehmen, sie waren im Schnitt 75. Und von denen, die 2012 in der Gruppe waren, litten 8,8 Prozent an Demenz, im Jahr 2000 waren es noch 11,6, das ist ein Rückgang um 24 Prozent (Jama Intern Med 21. 11.). Der Befund ist umso erstaunlicher, als es um die generelle Gesundheit bzw. Risikofaktoren für sie nicht besser bestellt war: Die Diabetesraten – sie gelten als Risikofaktor für Alzheimer – waren von 16 auf 25 Prozent gestiegen, die beim Bluthochdruck – noch ein Risikofaktor – von 55 auf 68.

Vielleicht halfen Hochdruckmedikamente auch umwegig gegen Demenz, mit Sicherheit half Bildung: Die Kohorte von 2012 war ein Jahr länger in der Schule als die von 2002. Wie das dem Verfall wehrt, ist wieder unklar, es gibt nur eine Hypothese, die von der „kognitiven Reserve“, die mit Verlust von Teilen des Gehirns besser fertig wird. Ganz rätselhaft ist schließlich der zweite große Helfer: Dick- bis Fettleibigkeit, auch die galt bisher als Risikofaktor. Hilft sie nun? Oder ist das eine Täuschung? Es könne auch sein, dass sie nicht verursacht, sondern nur zeigt, dass ein Gehirn gesund ist: Demenz wirkt sich auch auf die Ernährungsgewohnheiten aus – Essen wird vernachlässigt – und hat oft starken Gewichtsverlust zur Folge.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.11.2016)

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