Wo im Gehirn wohnt der Gottesglaube?

Symbolbild Mormonen
Symbolbild Mormonen(c) Clemens Fabry
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Bildgebende Verfahren zeigen bei gläubigen Mormonen Aktivitäten vor allem im Belohnungszentrum.

Glaube kann Berge versetzen, zum Wohl der Nächsten und Fernsten, Glaube kann in Wahn und Mord umschlagen, vom Verbrennen der Ketzer bis zum Terror unserer Tage. Und einem Glauben, der sie in ihrem Alltagshandeln leitet, hängen über 5,8 Milliarden Menschen an. Nur die Wissenschaft weiß wenig, schon über die Geburt der Religionen gehen die Geister auseinander. Der Philosoph Ludwig Feuerbach sah sie aus irdischem Mangel entstanden, der zur Kompensation jenseitigen Überfluss imaginiert, später folgten ihm Evolutionsbiologen, vor allem bei den „moralisierenden Religionen“, deren Götter Normen diktieren. Nicholas Wade, Wissenschaftsjournalist der New York Times, sah gar einen „uralten Glaubensinstinkt“, der früh im Gehirn „verdrahtet war“.

Sie „fühlen den Geist“

Die Gegenposition setzte auf Überfluss: Glauben muss man sich leisten können, Götter wollen Opfer und Kulte, die Gesellschaften müssen Mitglieder dafür freistellen, Priester. Geklärt ist die Debatte nicht, und völlig im Dunkeln liegt, was für Wade so selbstverständlich war, der Sitz des Glaubens im Gehirn. Zwar gibt es Studien, etwa an Nonnen, die verschiedene Hirnregionen identifizierten, aber die Samples waren klein und die Definition von Glaube war unscharf. Diesem Mangel versucht nun Jeffrey Anderson (University of Utah) abzuhelfen, an 19 jungen Mormonen und ihrer Glaubenserfahrung: Sie „fühlen den Geist“.

Das tun sie dann, wenn sie sich stark auf Gott konzentrieren, es bringt inneren Frieden und hilft bei Entscheidungen. Die Testpersonen waren so gläubig, dass sie selbst in den Röhren der Computertomografen den Geist fühlen konnten. Dann zeigten sich hohe Aktivitäten im Nucleus accumbens, das ist das Belohnungszentrum des Gehirns, das auch bei Liebe – körperlicher wie der zu Kindern – aktiv wird, auch bei der Befriedigung von Süchten. Zudem wird der mediale präfrontale Cortex aktiv, in ihm werden Situationen eingeschätzt und Handlungen bewertet (Social Neuroscience 29. 11.).

Viel ist das nicht – vor allem nicht über die, über die Anderson etwas lernen wollte: die als Glaubenskrieger daherkommenden Terroristen – Kritik kommt etwa von Katja Wiech, Hirnforscherin in Oxford: „Nichts davon ist spezifisch, diese Regionen sind in vielen Funktionen tätig. Keine davon ist der ,Gottes-Punkt‘.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.11.2016)

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