Musterbeispiel der Evolution ist doch keines

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Dass Fruchtfliegen Alkohol vertragen, schreibt man einer Mutation im Gen für ein Enzym zu. Ein Experiment zeigt: Es stimmt nicht.

Eines der klassischen Beispiele dafür, wie die Evolution in den molekularen Details läuft, ist das von den Fruchtfliegen und ihrer Fähigkeit, sich von vergärendem Obst zu ernähren bzw. mit dem Stoff darin fertigzuwerden, der das Leben bedroht: Alkohol. Das schaffte Drosophila melanogaster nach bisherigem Stand vor zwei bis vier Millionen Jahren, und sie schaffte es durch eine Punktmutation in einem Gen für ein Enzym, Alkoholdehydrogenase (ADH), die baut Alkohol ab, die Mutation verstärkte das.

Das zeigten vor 25 Jahren die Evolutionsbiologen John McDonald und Martin Kreitman (University of Chicago) mit damals neuen statistischen Methoden. Mit denen konnte man Genen ablesen, unter wie starkem Selektionsdruck sie zu bestimmten Varianten gekommen waren. Das für ADH zuständige Gen Adh hatte entsprechende Muster, und zwar so deutliche, dass diese Mutation als Musterbeispiel für Evolution in die Fachliteratur einging. Und das von den Forschern entwickelte Verfahren als McDonald/Kreitman-Test.

Alte Gene rekonstruiert

Der Befund war errechnet, experimentell testen konnte man ihn – und mit ihm die Aussagekraft des Tests – damals nicht. Heute kann man es, Joe Thornton und sein Mitarbeiter Mo Siddiq (University of Chicago) haben es getan: Sie haben zunächst das Gen (bzw. Protein) rekonstruiert, wie es vor der Punktmutation war, dann haben sie seine Wirkung mit der Variante nach der Mutation verglichen, sowohl beim Protein in der Petrischale als auch beim Gen in gentechnisch manipulierten Fliegen, Tausenden: Mit Alkohol wurden beide Typen gleich gut bzw. schlecht fertig: An diesem Gen liegt es nicht, dass D. melanogaster verrottendes Obst schadlos fressen kann. Der Befund ist so klar, dass ihn Thornton/Siddiq zum Titel ihrer Publikation gemacht haben: „Experimental test and refutation of a classic case of molecular adaptation in Drosophila melanogaster“ (Nature Ecology & Evolution 13. 1.).

Die Fliegen müssen ihre Alkoholresistenz auf ganz anderen Wegen erworben haben, durch andere Gene, und vielleicht hatte deren Veränderung Nebenfolgen bei Adh, es ist noch völlig unklar. Unklar ist auch, wo der Fehler in McDonalds/Kreitmans Rechnung war, vielleicht findet ihn Kreitman selbst. Er arbeitet noch an der University of Chicago, er war den jüngeren Kollegen nach Kräften behilflich: „Von Anfang an war Marty über unsere Experimente aufgeregt“, schildert Siddiq, „und seine Unterstützung blieb gleich groß, als unsere Befunde die Schlussfolgerungen seiner früheren Arbeit widerlegten.“ Die Forscher wollen mit ihren Verfahren der „ancestralized animals“ nun andere Musterbeispiele der Evolution testen. (jl)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.01.2017)

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