Ein Forschungszentrum für Gebäude aus dünnem Glas

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Themenbild Glas(c) Die Presse - Clemens Fabry
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In Graz wurde ein Josef-Ressel-Zentrum für Dünnglastechnologie eröffnet. Damit sollen völlig neue Anwendungsgebiete erschlossen werden.

Glas ist hart, spröde und zerbrechlich. Dass diese Binsenweisheit nur begrenzt gültig ist, zeigt schon der Blick auf Glasfasern, die zu biegsamen Kabeln verarbeitet werden oder glasfaserverstärkten Kunststoffen zu enormer Flexibilität verhelfen. Große Glasflächen von Gebäuden machen meist keinen Gebrauch von dieser Biegsamkeit, sie sind flach und in Dicken von etwa vier Millimetern verarbeitet. Größere Glasstrukturen sind aber durch das Glasgewicht limitiert. Ein Übergang zu geringeren Dicken erzwingt ein Umdenken, weg von flachen und hin zu komplexeren Geometrien mit gekrümmten Strukturen, die Kräfte deutlich besser verteilen.

Die dafür nötigen Produktions-, Simulations- und Prüfverfahren sollen im am Dienstag eröffneten Josef-Ressel-Zentrum für Dünnglastechnologien an der steirischen Fachhochschule Joanneum erforscht werden. Leiter des Zentrums ist der Grazer Forscher Jürgen Neugebauer vom Institut für Bauplanung und Bauwirtschaft der FH Joanneum. Wenn er von „Dünnglas“ spricht, meint er Stärken zwischen einem halben und zwei Millimetern. Das Biegeverhalten des Materials erinnert eher an eine durchsichtige Kunststofffolie als an Glas. „Die etablierten Prüfverfahren für Glas im Gebäudebau können hier nicht einfach übertragen werden“, sagt Neugebauer. Andere Ansätze seien nötig. Er skizziert vier große Bereiche, denen sich das neue Forschungszentrum widmen will.

Ursprung der Defekte finden

Ein Forschungsbereich ist die reine Glasstabilität. „Theoretisch hat Glas eine Belastbarkeit von 5000 bis 10.000 Megapascal“, sagt Neugebauer. „In der Praxis misst man allerdings nur 80 Megapascal.“ Der Unterschied sei durch Defekte bedingt. „Es ist wichtig, die Art der Defekte und ihren Ursprung genau zu kennen“, so Neugebauer. Für die Stabilität ist weiters die innere Spannung des Glases entscheidend. Eine gewisse Vorspannung zwischen Oberfläche und dem Inneren des Glases erhöht die Stabilität. Diese Spannungen lassen sich mit polarisiertem Licht messen.

Ein weiteres Forschungsfeld sind Zwischenschichten. Mehrschichtiges Glas mit einer Kunststofffolie ist aus dem Automobilbereich bekannt. Bei Dünnglas kann so die Festigkeit erhöht werden, die Kalkulation der Lebensdauer wird aber anspruchsvoller. Im Bau als Mittelschicht in Isolierverglasung eingesetzt, verringert es das bisher hohe Gewicht derzeit verwendeter Dreifach-Isoliergläser. In diesen Bereich fällt auch die Frage des Verklebens von Glasflächen. Bisherige Klebeflächen haben oft eine Dicke von mehr als zwei Millimetern. Es müssen spezielle Methoden für Dünnglas gefunden werden.

Besonderes Augenmerk will Neugebauer auf die Erforschung neuer Geometrien legen, die mit gewöhnlichem Glas nicht möglich sind: Aufgrund der geringen Stärke lässt sich das Material in engen Radien biegen. Auf diese Weise können völlig neue Anwendungsgebiete entstehen.

Faltdach wie Ziehharmonika

In welche Richtung das gehen könnte, zeigt ein Projekt, das auf den ersten Blick paradox erscheint: Neugebauer hat gemeinsam mit dem Stahlbauunternehmen SFL-Technologies ein Faltdach konzipiert und gebaut, das wie eine Ziehharmonika funktioniert und eine genau berechnete Biegung der Glasflächen erzwingt. Es handle sich um eine der ersten Anwendungen, die nur mit Dünnglas möglich sei.

Im Glasbau müsse immer die Belastbarkeit und die maximal zulässige Biegung einberechnet werden, sagt Neugebauer, das gelte auch für Dünnglas. Doch Glas „lebt“ mit der Biegung, diese kann also genutzt werden.

Das neue Zentrum hat eine Laufzeit von fünf Jahren und ein Budget von 800.000 Euro. Die eine Hälfte kommt von den beteiligten Unternehmen, darunter APG International, Lisec und SFL-Technologies, die andere vom Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft. Wissenschaftliche Partner sind das Polymer Competence Center Leoben (PCCL), die TU Darmstadt, die TU Delft und die Universität Cambridge.

LEXIKON

Josef-Ressel-Zentren sind als Pendant zu den Christian-Doppler-Labors an den Universitäten speziell für Fachhochschulen konzipiert. Sie werden von der Christian-Doppler-Gesellschaft betrieben, wobei der Fokus rein auf angewandter Forschung liegt. Derzeit gibt es zehn Josef-Ressel-Zentren, das Zentrum für Dünnglastechnologie ist das erste in der Steiermark.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.01.2017)

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