Psychotherapie: Nachwirkungen von Therapiesitzungen

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Forscher erkunden, wie man mit Patienten umgeht, die Nebenwirkungen von Psychotherapie empfinden oder die nicht darauf ansprechen. Und welche Auswirkungen die Zeit zwischen den Therapiestunden auf die Patienten hat.

Nebenwirkungen von Psychotherapie werden in der Forschung stiefmütterlich behandelt, betont Christoph Pieh, Leiter des Departments für Psychotherapie und Biopsychosoziale Gesundheit an der Donau-Uni Krems. Sein Vorgänger, Anton Leitner, publizierte dazu eine umfassende Studie, nach dem Motto: „Was wirkt, hat auch Nebenwirkungen“, die das Bewusstsein für dieses Problem erhöhen sollte.

„Doch vieles, das wir als negative Nebenwirkung bezeichnen, ist eigentlich als Kunstfehler einzuordnen“, sagt Pieh. Etwa, wenn ein Psychotherapeut eine sexuelle Beziehung zum Patienten eingeht, ist das ein Fehlverhalten und keine Nebenwirkung. Die Definition von Nebenwirkungen sind wohl so unscharf, weil sich die vielen Schulen der Psychotherapie – in Österreich gibt es über 20 – auch bei der Definition der richtigen Behandlungen nicht einig sind.

„In der Medizin ist die Festlegung, was bei welchem Symptom die richtige Therapie ist, viel klarer“, sagt Pieh. In der Psychotherapie hat man keine Blutwerte oder objektive Daten, an denen man den Erfolg bzw. die Nebenwirkung einer Behandlung messen kann. „Daher dauert es auch oft zu lange, bis man erkennt, dass ein Patient auf eine Therapie nicht anspricht, er also ein Non-Responder ist“, sagt Pieh. Wenn es um etwas so Komplexes wie die Persönlichkeit geht, lässt sich schwer abschätzen, ob eine Therapie gar nicht wirkt oder nur lange braucht, um einen Effekt zu zeigen.

„Wir brauchen mehr Studien, die neben der Wirkung auch negative Effekte, Verschlechterung oder Non-Responder untersuchen“, betont Pieh. Denn in der Medizin kann man schnell auf ein anderes Antibiotikum umschwenken, wenn die Ersttherapie nicht wirkt. „Es bleibt in der Psychotherapie immer die Frage: Sind belastende Begleiterscheinungen ein gewünschter Effekt oder eine unerwünschte Nebenwirkung?“, sagt Pieh, der auf konkretere Leitlinien pocht, die wissenschaftlich fundiert für die Störungsbilder gezielte Handlungsanweisungen geben.

Über 90 Prozent erleben das

Ein weiterer Aspekt, der bisher in der Psychotherapieforschung nicht genau beleuchtet wurde, ist: Was passiert zwischen den Therapiesitzungen? „Über 90 Prozent der Patienten erleben sogenannte Intersession-Erfahrungen“, sagt Sylke Andreas vom Institut für Psychologie der Uni Klagenfurt. So bezeichnet man spontane Gedanken, Gefühle und Fantasien, die der Patient über den Therapeuten oder die Therapie empfindet, wenn er gerade nicht in der Sitzung ist.

Immerhin verbringt man nur etwa eine Stunde pro Woche mit dem Psychotherapeuten. Doch in der restlichen Zeit denkt man oft daran. „Besonders in schwierigen Situationen erinnern sich die Patienten konkret an Dinge, die der Therapeut gesagt hat“, sagt Andreas. Manche hören ganz klar die Stimme des Therapeuten, andere sehen ihn vor sich oder träumen von Therapiesitzungen. „All die mentalen Repräsentationen können Einfluss darauf haben, wie das Ergebnis der Therapie ist“, betont sie. Gemeinsam mit Thorsten-Christian Gablonski startet sie nun ein Projekt – gefördert vom Jubiläumsfond der Österreichischen Nationalbank –, um die Intersession-Erfahrungen von Patienten einer Psychotherapeutischen Station wissenschaftlich zu analysieren.

Für die Fallstudie haben die Forscher Zugang zum Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke der Universität Witten/Herdecke in Nordrhein-Westfalen, da Andreas dort auch Professorin für Klinische Psychologie und Psychotherapie ist. Die Patienten erhalten zwei Mal pro Woche eine Einzeltherapie und sollen vor jeder Sitzung auf Fragebögen angeben, welche Gefühle, Gedanken und Fantasien sie seit der letzten Sitzung in Bezug auf das Gespräch und den Therapeuten hatten.

Handy-App soll im Alltag helfen

Es handelt sich bei der Therapieform um die psychodynamische Psychotherapie. „In Deutschland sagt man Tiefenpsychologie dazu. In Österreich gehört es zu der Kurzzeit-analytischen Psychotherapie“, erklärt Andreas. Vorstudien zeigten, dass positive Erfahrungen in der Zeit zwischen den Sitzungen die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass die Therapie zum Erfolg führt. „Anscheinend zeigen die Leute ein besseres Therapieergebnis, die sich ein gutes Bild vom Therapeuten machen können“, sagt sie.

„Uns interessiert, wie man den Prozess zwischen Sitzungen fördern kann, wenn es einem guttut, und hemmen bei Leuten, die das als negativ empfinden.“ Ziel ist eine Handy-App, die über Push-Nachrichten den Patienten an Positives erinnert oder von Negativem ablenkt, um den Intersession-Prozess mitzugestalten.

IN ZAHLEN

23 Schulen der Psychotherapie sind als unterschiedliche Methoden in Österreich vom Gesundheitsministerium anerkannt. Für diese Methoden ist die Wirksamkeit durch Studien belegt, ohne Hinweise auf beeinträchtigende Wirkungen.

90.000 Menschen etwa nehmen pro Jahr in Österreich eine Psychotherapie in Anspruch. Das Buch „Wirkung, Risiken und Nebenwirkungen von Psychotherapie“ von Anton Leitner ist 2014 im Facultas Verlag erschienen (24,90 Euro).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.04.2017)

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