Lug und Trug im Labor

Auf diesem Gemälde von 1915 wird Piltdown Man bewundert. Der angebliche Urmensch war zusammengeleimt aus Mensch und Affe.
Auf diesem Gemälde von 1915 wird Piltdown Man bewundert. Der angebliche Urmensch war zusammengeleimt aus Mensch und Affe.(c) imago
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Bringt Plastik im Wasser Fische zu Tode? So stand es in „Science“, es war ein Ergebnis wissenschaftlichen Fehlverhaltens. Das hat viele Facetten.

Am 3. Juni 2016 publizierte Science einen Artikel von Oona Lönnstedt, Ökologin der Uni Uppsala, der Wellen schlug, es ging um eines der heißesten Umweltthemen, Mikroplastik in Gewässern. Und es ging um Barsche: Sie würden, vor der Wahl zwischen herkömmlichem Futter und Plastik, wie wild nach Letzterem schnappen und sich Unbill einhandeln, schlechter wachsen, leichter Opfer von Hechten werden (352, S. 1213). „Ich dachte, ich verliere den Verstand“, erinnerte sich Biologin Josefin Sundin (Uppsala) an den Moment, in dem sie das las: Sie war zu der Zeit an dem Ort, an dem Lönnstedt ihre Experimente durchgeführt haben will, aber nach ihrer Erinnerung war sie kaum dort. Also griff sie zur Pfeife – ein deutsches Wort für Whistle-Blower gibt es nicht – und alarmierte die Uni und Science.

Das ist der jüngste Fall in einer grauen Zone, in der es um Fehler und Irrtümer geht, um handfesten Betrug schon auch: „Das Missing Link ist gefunden. Darwins Theorie ist bewiesen“. So titelte im Juni 1912 die „New York Times“, auch Nature pries „die wichtigste Entdeckung, die auf diesem Feld bisher in England gemacht wurde“: In Piltdown, Sussex, war der Schädel eines 500.000 Jahre alten Menschen gefunden worden, er hatte ein großes Gehirn und einen affenähnlichen Unterkiefer. Er galt als Beweis dafür, dass die Evolution das Gehirn vergrößert hatte, und zwar in England, deshalb hieß er nicht nur „Piltdown Man“, sondern auch „The Earliest Englishman“.

Er war zusammengeleimt, aus Mensch und Orang-Utan, ganz plump, trotzdem bemerkte man die Fälschung erst 1952, bis heute kennt man weder Täter noch Motiv, im Vorjahr scheiterte der letzte Rekonstruktionsversuch (R. Soc. Open Science 3: 160328). Klar ist immerhin, dass der Fall in die härteste der drei Kategorien fällt, mit denen der Mathematiker Charles Babbage Ordnung in den Bereich wissenschaftlichen Fehlverhaltens gebracht hat: Hoaxing, schlichtes Erfinden und Fabrizieren.

Das gab es 1830, als Babbage seine „Reflections on the Decline of Science in England“ publizierte (online bei Gutenberg), das gab es auch früher und später, der Meister in dieser Disziplin wurde der japanische Anästhesist Yoshitaka Fujii, er publizierte über 19 Jahre 172 Studien, in denen alles erfunden war, Patienten wie Medikamente, erst 2012 legten ihm Kollegen das Handwerk. Aber Ruhm und Geld gibt es nicht nur in der Medizin zu gewinnen, der Deutsche Jan Hendrick Schön hätte es fast zum Physiknobelpreis gebracht, als 2002 sein breites Fälschen auffiel, und der Russe Victor Nino kam jahrelang mit zwei chemischen Elementen durch, die er angeblich erzeugt hatte, seine Community ist klein, deshalb dauerte das Auffliegen.

Aber auch hohe Kopfzahlen garantieren nicht, dass im Reich des institutionalisierten Zweifels – also in der Wissenschaft – die Selbstkontrolle funktioniert. Als der Koreaner Hwang 2004 embryonale Stammzellen fälschte – auch plump, mit fabrizierten Fotos –, ging die Publikation in Science klaglos durch, das Peer Review versagt völlig, obwohl die Zunft auf der Hut sein musste, seit eine vorgebliche Sensation in einem verwandten Gebiet, dem des Klonens, unter Verdacht geraten war.

Dreist bis subtil. Warum fiel Hwang erst auf, als Whistle-Blower aus seinem Labor laut wurden? Die Stammzell-Community hatte sich in einen Hype gesteigert, in der ein Erfolg hermusste. Da drückt man schon ein Auge zu. Auch gegenüber sich selbst. So ist das auf dem breiten Feld, auf dem nicht dreist betrogen, sondern subtil gebogen wird, Babbage nannte es Trimming und Cooking: Bei Ersterem werden Daten zurechtgestutzt, Letzteres wählt aus vielen die schmackhaften. Dahinter muss gar keine Absicht stehen, man kann hineinrutschen: Dann wird die Wahrnehmung selektiv, blendet Unpassendes aus, bläst Erwünschtes auf. So war es wohl bei Kognitionsforscher Marc Hauser, der im Verhalten von Affen allzu viel Menschliches sehen wollte und irgendwann auch sah: 2011 brach es dem Star seiner Zunft das Genick.

So tummeln sich unter dem weißen Labormantel, der Objektivität suggeriert, viele Schattierungen, getrieben sind sie vom Imperativ der Wissenschaft: „Publish or perish!“, „perish“ heißt „krepieren“. Bloß nicht! Bei einer Umfrage von Nature unter Biomedizinern gab ein Drittel „Fehlverhalten“ zu, darunter fallen „Fabrizieren, Fälschen und Plagiieren“: Zum Plagiieren bekannten sich 7,4 Prozent, zum Unterschlagen missliebiger Daten 5,3, zum Fälschen 0,5 (435, S. 737).

Die Umfrage war nicht repräsentativ, die Dunkelziffer dürfte höher sein. Und lang fiel etwa in Biowissenschaften überhaupt nichts auf: Die erste „retraction“ – freiwillige oder erzwungene Rücknahme einer Publikation – war 1977. Das hat Arturo Casadevall (New York) bemerkt, inzwischen sieht er eine „retraction epidemic“ grassieren (Pnas 109, S. 17028). Sie kommt nicht unbedingt daher, dass es mehr Fehlverhalten gibt, es kann auch eher auffallen: Die Forschung hat ihre Selbstkontrolle verstärkt, manche Länder haben Wachhunde installiert, Schweden etwa den Central Ethical Review Board (CEPN). Aber die Gegenkräfte sind beharrlich: Keine Uni steht gern am Pranger, kein Journal möchte eine Blamage.

So pfiff Sundin zunächst ins Leere: Die Uni Uppsala fand an Lönnsteds Publikation nichts zu bekritteln, und Science stellte im vergangenen Dezember einen ganz unauffälligen Hinweis neben die Publikation, in dem das zentrale Problem stand: Die Arbeit enthält kaum Originaldaten, Lönnstedt und Koautor Peter Öklev – er hat zur Arbeit nur seinen Namen beigetragen – haben das damit erklärt, dass alles in einem einzigen Computer gespeichert gewesen und er gestohlen worden sei.

Aber Journals wie Science haben nicht nur Abteilungen, die Forschungsarbeiten publizieren – und damit Geld machen –, sie haben auch eine unabhängige Redaktion. Sie trieb die Recherche voran, Ende März fasste Martin Enserink unter einem in Auge, Nase und Gehirn stechenden Titel zusammen: „Fishy Business“ (355, S. 1254). Das schmeckte auch dem CEPN nicht – er ist hellwach, seit durch einen ruhmsüchtigen Chirurgenscharlatan der Uni Stockholm Menschen zu Tode gekommen sind –, er urteilt, die Publikation sei „der wissenschaftlichen Unehrlichkeit schuldig“. Und dass Science sie angenommen habe, sei „bemerkenswert“.

Am 3. Mai 2017, elf Monate nach Publikation, zog Science die Arbeit zurück: wegen „Fehlens der Originaldaten“, „Unklarheit der Experimente“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.05.2017)

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