Neue Materialien am PC erschaffen

Die Grazerin Veronika Obersteiner erfindet am Computer Materialien, spielt privat mehrere Instrumente und geht gern wandern.
Die Grazerin Veronika Obersteiner erfindet am Computer Materialien, spielt privat mehrere Instrumente und geht gern wandern.(c) Helmut Lunghammer
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Die Physikerin Veronika Obersteiner untersucht exotische Materialien, die bisher nur in der Theorie existieren, die aber zu neuen Solarzellen führen könnten.

Mir wurde gesagt, dass man sich für die Masterarbeit zwischen Theorie und Experiment entscheiden müsse. Ich konnte mir nicht vorstellen, nur Theorie zu machen, weil mir der Realitätsbezug wichtig war, nur Experimente wollte ich aber auch nicht machen“, sagt die Physikerin Veronika Obersteiner. Dieser Zugang führte sie in die Gruppe von Egbert Zojer an der TU Graz, wo sie mit Computermethoden Materialeigenschaften erforscht.

Das habe perfekt gepasst, so Obersteiner: „Wir sind an der Schnittstelle zwischen der puren Theorie und dem Experiment und versuchen, die Verbindung herzustellen.“ Vielfach kämen Experimentatoren zu ihnen, die in den Forschungen auf unerklärliche Effekte stoßen. Obersteiner und ihre Kollegen suchen dann Erklärungen. „Manchmal gelingt es uns aber, neue Materialien mit besonderen Eigenschaften zu erfinden“, erklärt Obersteiner – Materialien also, die es in der Realität noch nicht gibt.

Ihre letzte Arbeit, deren Ergebnisse in der renommierten Fachzeitschrift „Advanced Materials“ veröffentlicht wurde, drehte sich um ein solches Material. Dabei versuchte Obersteiner, Effekte statischer elektrischer Felder zu nutzen.

Geladen wie ein Luftballon

Die meisten von uns kennen diese aus unserer Kindheit: Luftballons, die wir an einem Pullover reiben, können plötzlich wie durch Zauberhand Haare aufheben. Der Grund dafür liegt darin, dass die Ballons durch Reibung negativ aufgeladen werden und dann alles aus der – relativ dazu – positiv geladenen Umgebung anziehen. Derselbe Effekt tritt auch auf molekularer Ebene auf: Wassermoleküle etwa sind permanent auf der einen Seite positiv, auf der anderen Seite negativ geladen, man spricht von Dipolen. Treffen solche Dipole auf die Oberfläche eines Materials, so verändern sie dort dessen quantenmechanische Eigenschaften. „Das sind Effekte, die in vielen Fällen eher störend sind“, sagt Obersteiner. Es stellte sich aber die Frage, ob sich derartige Effekte nicht gezielt ausnutzen lassen. „Wir bauen polare Elemente in Materialien ein. Durch die Überlagerung dieser Felder verschiebt sich die elektrische Potenziallandschaft“, sagt Obersteiner. Das hat Einfluss auf die Elektronen im Material: „Sie wollen immer dorthin, wo ihre elektrostatische Energie am niedrigsten ist. Wenn man es schafft, das Potenzial zu verschieben, kann man die Elektronen damit zum Beispiel in bestimmte Bahnen leiten“, erklärt die Physikerin.

Das ist nicht nur reine Theorie, sondern könnte interessante Anwendungen haben: „Eine mögliche Anwendung wären neuartige Solarzellen. Wenn Photonen auf die Oberfläche treffen, entstehen Elektronen-Loch-Paare, die aufgetrennt werden müssen.“ Man darf sich das wie einen See aus Elektronen vorstellen, aus dem ein Teilchen herausgehoben wird. Im Gegensatz zu einem wirklichen See bleibt dabei aber ein Loch zurück. Damit tatsächlich ein Strom zu fließen beginnt und die Elektronen nicht zurück ins Loch stürzen („rekombinieren“), braucht es einen Potenzialunterschied. „Dieser lässt sich über die Dipole erreichen“, sagt Obersteiner.

Bei Obersteiners Arbeit handelt es sich um einen theoretischen Vorschlag. Ob und wie sich das Material technisch herstellen lässt, ist noch nicht ganz geklärt. Der Versuch zahle sich aber aus: „Wenn man das realisieren kann, ist das wirklich interessant“, sagt sie. Einfach sei es nicht.

„Schuld“ war der Lehrer

Der Weg zu dieser Art von Forschung war für Veronika Obersteiner keineswegs vorgezeichnet. Die Forscherin, die im Privaten mehrere Instrumente spielt und gern wandern geht oder auf Klettersteigen unterwegs ist, studierte ursprünglich Mathematik, wechselte aber bald zur Physik.

„Schuld“ daran war ein Lehrer am Gymnasium, der sie für Physik begeisterte. „Der Wechsel zur Physik war am Anfang ein Kampf. Ich musste da viel aufholen.“ Das gelang mit Bravour, am 13. Juni absolvierte Obersteiner nun ihr Rigorosum. Wie es danach weitergeht, darauf will sich Obersteiner noch nicht festlegen. Wir dürfen vermuten, dass es sich weder um reine Theorie, noch um reine Experimente handeln wird.

ZUR PERSON

Veronika Obersteiner stammt aus Graz und ist 28 Jahre alt. Sie studierte an der TU Graz Physik. Obersteiner interessiert sich für Materialforschung mit Computermethoden, die auf der sogenannten Dichtefunktionaltheorie basieren. Sie ist Mitglied der Forschungsgruppe um Egbert Zojer und hat eine ganze Reihe von Publikationen zu Buche stehen, davon drei als Erstautorin. Am 13. Juni schloss sie ihr Doktoratsstudium an der TU Graz ab.

Alle Beiträge unter:diepresse.com/jungeforschung

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.06.2017)

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