Wenn der Wohnpark näher an den Bahnhof rückt

Mehrgeschossige Wohngebäude im direkten Bahnhofsumfeld Lauterach.
Mehrgeschossige Wohngebäude im direkten Bahnhofsumfeld Lauterach.(c) Stadtland
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Bahnhöfe waren lang Stiefkinder der Raumplanung. In einem Forschungsprojekt wurde nun untersucht, wie sich durch eine strukturelle Hinwendung von Siedlungen zur Bahn das Fahrgastaufkommen steigern lässt. Die gute Nachricht: Es gibt bereits Erfolgsbeispiele.

Sie wirkt aus der Zeit gefallen: Die Bahnhofsstraße, Symbol früherer raum- und verkehrsplanerischer Aufbruchsstimmung, ist heute in so manchem Städtchen Österreichs nur mehr Nostalgikern ein tröstlicher Anblick. Die Orientierung hin zum Individualverkehr brachten schon die 1950er-Jahre. Damals brachen die bestehenden Raum- und Verkehrsstrukturen mit dem Einsetzen der Massenmotorisierung zugunsten autogerechter Siedlungsstrukturen auf: „Im Fokus der Planer lag plötzlich nicht mehr die Bahn, sondern verstärkt Autobahnen und übergeordnete Straßennetze“, sagt Herbert Bork, Raumplaner beim Technischen Büro Stadtland.

Eine Entwicklung, die anhielt, wie auf Luftaufnahmen zu sehen ist: „In vielen österreichischen Gemeinden außerhalb von Agglomerationsräumen sind Bahnstationen mit großer Treffsicherheit dort anzutreffen, wo keine ausgeprägten Siedlungsstrukturen nachweisbar sind“, so Bork. Wie eine stärker an der Schiene orientierte Siedlungsentwicklung erreicht werden kann, war jetzt die Fragestellung des vom Technologieministerium geförderten Projekts BahnRaum. Daraus hervorgegangen ist ein Handbuch, das auch auf eine feinmaschigere Erschließung von Bahnstationen für Fußgänger und Radfahrer abzielt. „Es soll sämtlichen Akteuren, Gemeinden, Bahn und Grundstückseignern, einen Handlungsrahmen geben“, sagt Bork.

Gemeinden brauchen Visionen

Denn Potenzial, das hätten Planstudium, Vor-Ort-Erhebungen in ganz Österreich sowie Analysen der rechtlichen Ausgestaltung von Flächenwidmungsplänen gezeigt, ist reichlich vorhanden. Zudem gibt es Vorbilder. Das Münchener Umland sowie das Vorarlberger Rheintal etwa haben sich in der Ausgestaltung ihrer Bahninfrastruktur zu Pionierregionen hochgearbeitet. Stichwort Siedlungsentwicklung im unmittelbaren Stationsumfeld.

Gemeinden wüssten über ihre rechtlichen Möglichkeiten zweifellos Bescheid, heißt es im Projektteam. Häufig aber fehle „die Vision, Rahmenbedingungen zu schaffen, die eine nachhaltige bauliche Entwicklung zulassen“. Die Flächenwidmungsstrategien seien nicht immer nachvollziehbar. „Große Baulandreserven befinden sich immer wieder abseits großer Einzugsbereiche von Haltestellen“, sagt Herbert Bork.

Auch in anderen Punkten gibt es Handlungsspielraum für Gemeinden. Eine bessere Feinerschließung der Bahnhöfe – auch über leicht erreichbare Zufahrtswege zu beiden Seiten des Stationsareals – brächte eine zusätzliche Attraktivierung des Verkehrsmittels Bahn. Eine weniger bestandsorientierte Sicht bei Stationszusammenlegungen sowie noch qualitätsvollere Haltestellen, aufgewertet etwa durch Angebote für Fahrradfahrer, sind zusätzliche Hebel. Park-and-ride-Anlagen konkurrenzieren mit Radabstellplätzen um freie Flächen. „Nicht immer aber sind Pendlerparkplätze die bessere Wahl“, sagt Martin Berger vom Department für Raumplanung an der TU Wien.

Viele „Einfamilienhausteppiche“

Der Bahnhof Lauterach im Bezirk Bregenz hingegen überzeugte die Wissenschaftler. „Hier kommen sehr viele Strategien zur Geltung“, sagt Herbert Bork von Stadtland: Der Bahnhof ist topmodern, es gibt ein großzügiges Angebot an sicheren Radabstellplätzen, und direkt im Stationsumfeld wurde „auf eine punktuelle Verdichtung mit mehrgeschoßigen Wohngebäuden abgezielt“, sagt Bork.

Ein weiteres Beispiel für abgestimmtes Vorgehen von ÖBB und Gemeinden sei die in Planung befindliche Smart City Ebreichsdorf, mit der ein zweigleisiger Ausbau der Pottendorfer Linie samt Bahnhofsneubau einhergeht.

Andere Gemeinden dagegen enttäuschen: „Ihre Parzellierung im unmittelbaren Bahnhofsumfeld läuft oftmals auf Einfamilienhausteppiche hinaus“, sagt Bork.

IN ZAHLEN

1850Zu- und Ausstiege pro Tag registrierte der Vorarlberger Bahnhof Lauterach durch Siedlungsverdichtung im Stationsbereich, höheren Ausbaugrad, sichere Radabstellanlagen und Vernetzung mit anderen Verkehrsmitteln im Jahr 2015.

750Nutzer täglich zählte man noch 2006. Das bedeutet eine Steigerung um 147 Prozent innerhalb von fast zehn Jahren. Damit ist der Bahnhof für die Forscher ein Erfolgsbeispiel.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.06.2017)

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