Artenreichtum im Bombenkrater

Zsófia Horváth
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Forscher des Wasserclusters Lunz haben in Ungarn mehr als 50 Bombenkrater untersucht und sind dabei auf eine erstaunliche Vielfalt an Pflanzen und Tieren gestoßen.

Vielleicht ist es nur eine Geschichte: Junge US-Piloten sollen während des Zweiten Weltkriegs einen von den Nazis besetzten Flughafen 40 Kilometer Luftlinie südlich von Budapest bombardieren. Weil sie schon im Anflug auf heftige Gegenwehr stoßen, entschließen sie sich abzudrehen. Doch was tun mit der Ladung? Um auf der Heimatbasis keinen Ärger wegen Befehlsverweigerung zu bekommen, werfen die Piloten ihre Bomben auf ein freies Feld in der Nähe des eigentlichen Ziels. Noch heute sind rund 100 der dadurch entstandenen Kriegsnarben Teil des Kiskunság-Nationalparks in der Nähe des Dorfes Apaj im Zentrum des Pannonischen Beckens.

So jedenfalls wurde dem Biologen Csaba Vad die Geschichte ihrer Entstehung zugetragen. Dass die Bombenkrater überhaupt existieren, erfuhr der Forscher von einem Mitarbeiter des Nationalparks. Als zudem klar wurde, dass andernorts ähnliche Krater wieder zugeschüttet werden, schrillten bei Vad und den Experten für Gewässer-Biodiversität des Wasserclusters Lunz die Alarmglocken: „Wir wollten untersuchen, ob die Krater nur störende Löcher in der Landschaft sind, wovon viele ausgingen, oder ob sie nach all den Jahren zu einem wichtigen Sekundärlebensraum geworden sind“, erklärt Vad.

Ein Netzwerk der Biotope

Also nahm ein ungarisch-österreichisches Team 54 diese mit teilweise salzhaltigem Wasser gefüllten, drei bis zwölf Meter im Durchmesser betragenden Teiche unter die Lupe. Sie nahmen Wasserproben und untersuchten sie auf physikalisch-chemische Eigenschaften. Außerdem hielten sie Ausschau nach pflanzlichem und tierischem Plankton sowie Wirbeltieren und wirbellosen Tieren.

Ihre Funde erstaunten die Wissenschaftler. „Der Artenreichtum war im Vergleich zu ,normalen‘, natürlich entstandenen Salzlacken hoch“, erläutert Vad, der auf die Biodiversität von Gewässern spezialisiert ist.
Die Forscher entdeckten 194 Tierarten und 80 Arten von Phytoplankton. Darunter auch Spezialisten, die bislang ausschließlich in den Salzlacken der Region dokumentiert oder potenziell bedroht sind. Dabei hätten alle Teiche in ähnlicher Weise zur hohen Artenvielfalt beigetragen; Vad spricht von einer Art Biotop-Netzwerk, in dem jedes Glied eine tragende Rolle spielt. „Das würde bedeuten, dass eine beträchtliche Zahl von Arten einfach verschwände, würde man etwa die Hälfte der Krater zuschütten.“

Übungen der Sowjet-Armee

An anderer Stelle innerhalb der Pannonischen Tiefebene soll es 5000 weitere solcher Bombenkrater geben, die aus Militärübungen der Sowjet-Armee resultieren. Die aktuellen Forschungsergebnisse sprechen dafür, diesen sprengstoffgemachten Erdlöchern künftig größere Beachtung zu schenken. Denn egal, ob von Natur aus entstanden oder durch Menschen gemacht: Ihr Beitrag zum Ökosystem scheint enorm.

„Man hat erst in den vergangenen Jahrzehnten festgestellt, dass Teiche weit mehr sind als einfach nur kleine Seen“, betont der in Lunz am See forschende Ungar. „Sie sind Heimat von speziellen Amphibien-, Libellen- oder Krustentierarten, die sich an das Leben in kleinen, oft nur zeitweise bestehenden Gewässern angepasst haben und niemals in größeren zu finden sind.“ So könne es leicht sein, dass selbst innerhalb einer Region unterschiedliche Teiche von unterschiedlichen Arten bewohnt werden.

Gegen Verlanden schützen

Das natürliche Schicksal dieser Art von Gewässern ist allerdings ihr Verschwinden, besser gesagt: Sie verlanden früher oder später, weil sich immer mehr organisches Material auf dem Grund absetzt und das Wasser immer flacher wird. Durch regelmäßiges Ausbaggern kann der Mensch den Prozess verlangsamen oder aufhalten.

Vad spricht sich genau dafür aus: „Ich denke, das wäre wichtig. Zumal es gegenwärtig aufgrund regulierter Flüsse und sinkender Grundwasserspiegel immer weniger die Möglichkeit gibt, dass solche Teiche auf natürliche Weise entstehen.“ Die artenreichen Bombenkrater sind schon da. Warum also nicht erhalten?

("Die Presse", Print-Ausgabe, undefined.undefined.)

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