Das Innere von Planeten oder Bauteilen errechnen

Das Sonnensystem im Diagramm.
Das Sonnensystem im Diagramm. (c) imago/Ikon Images (imago stock&people)
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Zahlen ermitteln.Mathematiker können von beobachteten oder gemessenen Wirkungen auf deren Ursachen rückschließen. Sie berechnen das Erd- und Sonneninnere, Risse in Funktionskeramiken oder Tumore unter der Haut.

Die Sonne – zentrales Gestirn am Himmel, Fackel des Lebens, Mittelpunkt der Kulturgeschichte. Seit Menschengedenken wird sie verehrt, angebetet, gefürchtet und erforscht: Mittels Satelliten und Raumsonden kann die Oberfläche, etwa durch Ultraviolett- und Röntgenstrahlung, recht gut untersucht werden. Messungen der UV-Strahlung und des Sonnenwindes sind inzwischen genauso möglich wie die hochauflösende Erfassung der Sonnenatmosphäre. Die physikalischen, messbasierten Methoden stoßen beim Sonneninneren aber an ihre Grenzen. Hier bringt die Mathematik Licht ins Dunkle.

Sie kann aus der Beobachtung und Messung von Wirkungen auf der Sonne auf dessen Ursachen zurückrechnen. „Wir sprechen hier allgemein von inversen Problemen“, sagt Barbara Kaltenbacher, Mathematikerin der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. Sie und zwei Doktoranden starten im kommenden Herbst mit dem vom Österreichischen Forschungsfonds (FWF) finanzierten Projekt „Lösen inverser Probleme ohne Vorwärtsoperatoren“. Dabei möchte sie beweisbare mathematische Methoden entwickeln, die ausgehend von verschiedenen Wirkungen auf die Ursache schließen lassen.

„Das Rechnen findet zunächst auf abstrakter Ebene mit Bleistift und Papier statt. Dann werden die Verfahren am Computer implementiert und die Ergebnisse in zwei- und dreidimensionalen Bildern visualisiert“, sagt die Forscherin. Im Gegensatz zu direkten Problemen sind inverse Probleme nicht immer leicht lösbar. Fehler können nicht zu hundert Prozent ausgeschlossen werden. Fehler sind im Forschungsprojekt aber sehr wichtig. Grundsätzlich entstehen diese schon oftmals beim Messen und pflanzen sich dann bei weiteren Berechnungen exponentiell fort. Das Team um Kaltenbacher will Verfahren entwickeln, die Messfehler explizit berücksichtigen und geeignete Regulierungsverfahren einbauen.

Prüfen, ohne zu zerstören

Internationale Forschungsgruppen, mit denen die Klagenfurter eng zusammenarbeiten, nehmen sich der Thematik schon seit Längerem an. Kaltenbacher erfuhr auf einer Konferenz vor drei Wochen von anstehenden Sonnenberechnungen. Die Verfahren sind keine utopisch-mathematischen Theorien. Sie werden bereits angewendet: etwa bei der zerstörungsfreien Werkstoffprüfung. Hat das Innere eines Bauteiles einen Riss, kann man rechnerisch das Ausmaß und den Ort des Risses ermitteln. Zunächst benötigt es immer eine Art der Messung. Bei Funktionskeramik kann man etwa mit außen angebrachten elektrischen Spannungen Auslenkungen der Körperoberfläche beobachten. Danach kann in das Innere zurückgerechnet werden.

Auch in der Medizin kommt dieses Rechnen bereits zum Einsatz. In der elektrischen Impedanztomografie (EIT) misst man elektrische Spannungsmuster an der Hautoberfläche, die sich einstellen, wenn man mittels Elektroden kleine Ströme in den Körper einbringt. Weil jedes Gewebe eine unterschiedlich starke elektrische Leitfähigkeit hat, kann man so auf dessen Beschaffenheit schließen und Tumore aufspüren.

Aus Messungen an der Erdoberfläche kann man Rückschlüsse auf das Erdinnere ziehen – und so auch bei der Sonne. Auf die Frage hin, ob alles Zahl sei, sagt Kaltenbacher: „Nicht alles ist Zahl, aber vieles ist Mathematik.“ (por)

LEXIKON

Inverse Probleme in der Mathematik schließen ausgehend von beobachteten Wirkungen auf deren zugrunde liegende Ursache. Mithilfe von Vorwärtsoperatoren können den Ursachen Wirkungen zugeordnet werden. Es wird also ein Parameter herangezogen, um schon vorauszuberechnen wie eine Wirkung sein kann. Da es in der Theorie unendlich dimensionale Parameter gibt, die Wirkungen beeinflussen, entwickeln Forscher Methoden, die im allgemeinen Rahmen bleiben und auf einem breiten Spektrum anwendbar sind.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.07.2017)

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