Ein überraschender Notenfund

Kloster Niederaltaich.
Kloster Niederaltaich. (c) imago stock&people (imago stock&people)
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Robert Klugseder ist in einem bayrischen Kloster auf das alte Musikarchiv der Pfarre Spitz gestoßen. Die rund 40.000 Notenblätter gibt es nun digital.

Wien. Eigentlich suchte der Musikhistoriker Robert Klugseder im bayrischen Kloster Niederaltaich nach mittelalterlicher Kirchenmusik zu Ehren des heiligen Gotthard, des ehemaligen Abts des Klosters, als der Archivar ihn auf etwas anderes aufmerksam machte: auf 800 Notendokumente, die ursprünglich einmal der Pfarre Spitz an der Donau (NÖ) gehört hatten – und von deren Existenz in Österreich keiner mehr wusste. Der Pfarrer von Spitz hatte sie 1977 den bayrischen Benediktinern vermacht.

„Mit so etwas rechnet man überhaupt nicht“, sagt Klugseder, der am Institut für kunst- und musikhistorische Forschung der ÖAW arbeitet. Früher habe es in sehr vielen Pfarren solche Notenarchive gegeben. Größtenteils seien diese aber nicht erhalten, sondern weggeworfen worden. „So wäre es in Spitz auch gewesen, wenn sie nicht nach Niederaltaich weitergegeben worden wären“, sagt er. „Man hat den Wert früher nicht erkannt.“

Unter den rund 800 Dokumenten sind Abschriften von Werken bekannter Komponisten, unter anderem von Ludwig van Beethoven, Wolfgang Amadeus Mozart oder Michael und Joseph Haydn. „Allein von den Haydn-Brüdern sind es an die 90 Werke“, sagt Klugseder. Darunter sind einige, von denen es nur wenige Kopien gibt – von Musikinteressierten mit der Hand abgeschrieben. Was weitere Quellen umso bedeutender macht: „Wenn man Noten herausgeben will und bei der verfügbaren Abschrift etwas unklar ist oder nicht zu stimmen scheint, ist es wichtig, diese Quellen zu haben“, sagt Klugseder. Michael Haydns Bassarie „Cantate domino canticum novum“ ist in dem Spitzer Archiv überhaupt als Unikum überliefert.

Eine Messe für Napoleon

Unter den in Niederaltaich wiedergefundenen Noten sind auch Originalwerke von sogenannten niederösterreichischen Kleinmeistern wie Franz Joseph Pfeiffer, Franz Schneider oder Joseph Nicolaus Spoth, die unter anderem zahlreiche Messen schrieben. Ein besonders spannender Fall ist für Klugseder die „Messe pour le Sacre de Napoléon“. Diese scheint jüngeren Forschungen zufolge nicht – wie lange Zeit vermutet – vom Franzosen Etienne-Nicolas Méhul geschrieben worden zu sein, sondern vom Komponisten Franz Xaver Kleinheinz, der in Wien zum engeren Kreis um Beethoven gehörte. Eine der seltenen Abschriften dieser Messe hat der Forscher nun gefunden.

Mit seinem Team hat Klugseder die Noten aus dem Benediktinerkloster Niederaltaich seit dem vergangenen Sommer mithilfe von Spezialausrüstung digitalisiert und damit auch vor dem „Tintenfraß“ gerettet – einer chemischen Reaktion, die bei langer feuchter Lagerung Papier zerfrisst. Die Noten – insgesamt handelt es sich um rund 40.000 Blätter – sind öffentlich zugänglich. Forscher und Musikinteressierte können nun online darauf zugreifen.

Die Noten: digital-musicology.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.07.2017)

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