Die Zähesten der Zähen

So lang wie Jeanne Calment lebte niemand zuvor und danach auch nicht: Sie starb 1997 mit 122 Jahren, hatte noch van Gogh gekannt.
So lang wie Jeanne Calment lebte niemand zuvor und danach auch nicht: Sie starb 1997 mit 122 Jahren, hatte noch van Gogh gekannt.(c) Archiv
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Welches Alter können Lebewesen erreichen? Bei Menschen scheint der Plafond bei 120 Jahren zu liegen, andere sind schier unsterblich.

„Als Hennoch 65 Jahre alt war, zeugte er den Methusalah. Als Methusalah 187 Jahre alt war, zeugte er den Lamech. Und nachdem Methusalah den Lamech gezeugt hatte, lebte er noch 782 Jahre und zeugte Söhne und Töchter. So betrug Methusalahs Lebenszeit 969 Jahre, dann starb er.“ Das steht im 1. Mose 5, 21, nicht weit davon brachten es Noah auf 950 und Adam auf 930 Jahre. Nebenan in Sumer war es noch toller, dort regierte der erste König 36.000 Jahre, der dritte 46.800, der zehnte 64.800. Wie es zu diesen Mythen kam, ist unklar, die in der Bibel hat man etwa damit zu erklären versucht, dass nicht von Sonnen-, sondern von Mondjahren die Rede ist, dass man also alles durch zwölf dividieren muss: Dann wäre Methusalah mit 80 gestorben – aber Hennoch hätte ihn mit 5,5 zeugen müssen.

Vielleicht stand einfach der Wunsch nach einem langen Erdenleben dahinter, aber dem setzte der Herr im 1. Mose 6, 1 eine Grenze: „Als die Menschen anfingen, sich auf der Erde zu mehren, und ihnen Töchter geboren wurden, sahen die Gottessöhne, dass die Töchter der Menschen schön waren, und sie nahmen sich zu Weibern, welche sie nur wollten. Da sprach der Herr: Mein Geist soll nicht auf immer im Menschen walten, weil auch er Fleisch ist, und seine Lebenszeit sei 120 Jahre.“ Das ist so kryptisch – Gottessöhne? – wie realistisch: Der bisher älteste Mensch, die Französin Jeanne Calment, ist 1997 mit 122 Jahren und 164 Tagen gestorben, sie hat noch van Gogh gekannt.

So weit brachte es zuvor und seitdem niemand mehr, und unter Forschern herrscht Streit darüber, ob es je noch einmal jemand tun wird: Zwar ist die Lebenserwartung im vergangenen Jahrhundert frappant gestiegen – wer 1900 in den USA geboren wurde, hatte im Schnitt 47 Jahre vor sich, beim Jahrgang 2000 waren es 79 –, und auch die Zahl der ganz Alten, derer über 100, ist gestiegen. Aber bei ihnen sieht der Jan Vijg (New York) den Plafond erreicht: Seit Mitte der 1990er-Jahre ist die Zahl in vielen Ländern leicht zurückgegangen (Nature 538, S. 257). Das publizierte Vijg vergangenen Herbst, es gab Kritik, sowohl an den statistischen Methoden wie auch etwa daran, dass Vijg weitere lebensverlängernde Innovationen der Medizin nicht ins Kalkül gezogen hatte.

Die Einwände schafften es nun auch hinauf in Nature, Vijg replizierte und blieb bei seiner Prognose (546, E8). Aber wie alt kann ein Mensch wirklich werden, wie alt kann es überhaupt ein Lebewesen? Eines, das nicht sehr weit weg von uns ist, ein Fisch etwa oder eine Schildkröte? Bei Letzteren soll die Langlebigste – Adwaita, im Sanskrit: die Einzigartige – 256 gewesen sein, als sie 2006 in einem Zoo in Indien starb. Verbürgt ist das nicht, es kann auch Werbung für den Zoo gewesen sein, und so einfach lässt sich das Alter von Schildkröten nicht bestimmen.


Rekordhalter im Tierreich. Bei Grönlandhaien ist das anders: Die leben in arktischen Gewässern, sie werden fünf Meter lang, brauchen jedoch Zeit, legen im Jahr nur einen Zentimeter zu. Aber sie haben keine Knochen, deren „Jahresringe“ man zählen könnte. Wie dann ihr Alter bestimmen? Sie haben schon bei der Geburt Kohlenstoff in den Augenlinsen, den kann man datieren, Julius Nielsen (Kopenhagen) hat es getan: Die ältesten lebten fast 500 Jahre (Science 353, S. 702). Damit sind sie nur knapp hinter dem Rekordhalter, einer Muschel – Arcica islandica – aus Island, man nannte sie Ming, weil sie zu wachsen begann, als in China diese Dynastie regierte: Verschiedene Methoden deuteten auf ein Alter von 507 Jahren.

Das ist alles nichts gegenüber denen, die ewig leben, in dem Sinn, dass sie nicht sterben, solange die Umwelt ein Existieren zulässt. Diese Lebewesen sind weiter von uns entfernt, Bakterien etwa. Die teilen sich, in Mütter und Töchter, die Mütter leben weiter und teilen sich wieder, ad infinitum. Das dachte man zumindest lang, 2005 kamen Zweifel: Eric Stewart (Paris) fiel an E. coli auf, dass Mütter im Lauf der Zeit langsamer wachsen und sich seltener teilen (PLoS Biology 3, e45). Eindeutiger ewig leben die, mit denen Abraham Trembley 1740 hantierte, Süßwasserpolypen: „Bei der ersten Operation habe ich sie in die linke Hand genommen und mit der rechten Hand eine Schere um sie geführt. Dann habe ich die Schere geschlossen.“ Aber wie oft er das auch immer tat, bald waren wieder ganze Polypen da. Trembley entsann sich eines Mythos und schlug den Namen Hydra vor, Linné griff ihn 1758 auf.

Wie das zugeht, dass bei Hydra selbst aus einzelnen Zellen wieder ganze Tiere wachsen, wurde 2012 im Labor von Thomas Bosch (Kiel) geklärt: Es liegt an der besonderen Aktivität eines besonderen Gens, FoxO, es sorgt unerschöpflich für Stammzellen (Pnas 109, S. 19697). Das hilft natürlich auch nichts, wenn die Umwelt allzu lebensfeindlich wird, etwa verstrahlt. Dann zeigt ein einzigartiger Lebenskünstler, was er kann, das Bärtierchen, ein achtbeiniger aquatischer Winzling von kaum einem Millimeter: Es wird als Individuum um die 60 Jahre und hält so gut wie alles aus, jeden Druck – bis zu 12.000 Atmosphären am Fuß des Marianengrabens –, fast jede Temperatur, von minus 272 Grad Celsius bis plus 150, das Vakuum und die Strahlung im All, radioaktive auf der Erde ohnehin. Es kann völlig austrocknen, über Jahrzehnte, und dann wieder auferstehen.

Als Art würde es nur erlöschen, wenn die Meere zum Kochen gebracht würden, durch einen Asteroiden oder eine Supernova. Das hat Abraham Loeb (Cambridge) durchgerechnet, er sieht solche Ereignisse nicht kommen und die Bärtierchen leben, bis die Sonne sich in etwa fünf Milliarden Jahren zum Roten Riesen aufbläht und die Erde ausglüht (Scientific Reports 14. 7.).

Menschen wird es dann schon lang nicht mehr geben. Aber wie lang können sie leben, nicht als Art, sondern als Individuen? Man wird es abwarten müssen, und bei den Hoffnungen Zurückhaltung üben: Bei den Griechen warnte ein Mythos, der von Tithonos: Der erhielt, erbeten von seiner unsterblichen Geliebten Eos, von Zeus ewiges Leben, nicht aber auch ewige Jugend, so verschrumpelte er zur schrill keifenden Zikade. Dieses Motiv nahm Aldous Huxley 1937 auf: In „After Many a Summer“ gibt es ein Wundermittel – Innereien von Karpfen –, das Menschen so alt werden lässt, Hunderte von Jahren, dass sie regredieren, zu Affen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.07.2017)

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