Das Übel in der Luft

Einfache Mittel wie insektizidgetränkte Moskitonetze bieten Schutz. Aber die Mütter gefährdeter Kinder müssen das auch wissen.
Einfache Mittel wie insektizidgetränkte Moskitonetze bieten Schutz. Aber die Mütter gefährdeter Kinder müssen das auch wissen.(c) EPA (STEPHEN MORRISON)
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Eine der größten Plagen ist nach wie vor die Malaria. Zwar konnte sie zurückgedrängt werden, aber "silver bullets" zu ihrer Ausrottung sind nicht in Sicht.

Am Donnerstag, 6. Dezember 1945, erhielten die darbenden Nachkriegswiener laut „Neues Österreich“ eine Sonderzuteilung: „Für Kleinkinder 10 Deka Sauerkraut, für Schwerstarbeiter eine Packung amerikanischer ,Seenotverpflegung‘ (10 Keks, etwas Salz, Tee, Zucker, Malaria-Pillen, 2 Kaugummi, 5 Streichhölzer)“. An diesem Donnerstag hatte es auf der Hohen Warte 1,7 Grad, dann kam ein Temperatursturz auf minus 6,8, die Stadt wurde in Schnee gehüllt. Und da wurden Malaria-Pillen verteilt?

Mit gutem Grund: Malaria ist keine Tropenkrankheit, sie wütete selbst in der Kleinen Eiszeit bis zum Polarkreis. Sie hinterließ auch Spuren in der Literatur, Robinson wurde von ihrem Fieber geschüttelt, und bei Shakespeare taucht oft ein Leiden namens „Ague“ auf, dessen Symptome auf Malaria deuten. Zusammengetragen hat das Paul Reiter, ein Arzt des US-Gesundheitsdienstes CDC, der 1946 (!) gegründet wurde, um die Malaria in den USA auszurotten. Reiter bilanzierte auch breit ihre Verbreitung in der Gegenwart (Emerging Infectious Diseases 6, S. 1).

Damit wollte er den – auch vom UNO-Klimabeirat IPCC – verbreiteten Glauben bekämpfen, Malaria habe etwas mit der Erwärmung zu tun bzw. werde bald auch den Norden bedrohen, nicht nur die armen Teufel in Afrika! Aber noch Mitte der 1950er-Jahre gab es in Österreich tausend Fälle pro Jahr, erinnerte sich der Tropenmediziner Heinrich Stemberger, und Reiter brachte es mit seiner Schlussfolgerung – „der Klimawandel ist (für Malaria) irrelevant“ – hinauf in Science (289, S. 1697).

Woher kommt Malaria dann? Im weiteren Sinn ist sie eine politische und soziale Krankheit, im harten Kern steckt ein spukhafter Parasit dahinter, Plasmodium falciparum, der pendelt zwischen zwei Wirten, Moskitos und Menschen, und er manipuliert beide: Wenn er in Menschen ausgereift ist und für sein nächstes Stadium Moskitos braucht, dann sorgt er dafür, dass die Menschen einen Lockduft ausdünsten (PLoS One, 3, 2298); und wenn er wieder aus Moskitos heraus muss, hebt er deren Blutdurst (PLoS One, 5 e63602).

Das hat man erst vor Kurzem bemerkt, das uralte Leiden – in den Aufzeichnungen der Ägypter findet es sich ebenso wie in denen der Inder – blieb lang ein Rätsel, in Italien merkte man immerhin irgendwann, dass es aus der üblen Luft der Sümpfe steigt – mal aria – und dass Trockenlegen hilft. Aber was da steigt, konnte erst Ende des 19. Jahrhunderts eruiert werden: Alphonse Laveran beschrieb 1880 den Erreger, Roland Ross 1897 den Zusammenhang mit dem Überträger, beide wurden mit dem Nobelpreis geehrt: Plasmodium vermehrt sich in Anopheles-Moskitos in mehreren Phasen sexuell, und in Menschen in mehreren asexuell, bei ihm wandert es zunächst in die Leber, dann greift es rote Blutzellen an.


Gescheiterte Ausrottung

Dieser gewundene Weg macht die Bekämpfung so schwer, dass bis heute kein Impfstoff gelungen ist, der beste Kandidat hat eine Wirksamkeit von gerade 30 Prozent, er soll nächstes Jahr in Afrika getestet werden. Bleiben von pharmakologischer Seite Medikamente, aber gegen die letzten wirksamen, Artemisinine, werden die Erreger zunehmend resistent. Ähnliches gilt für die Überträger: In den 1950er-Jahren startete die Weltgesundheitsorganisation WHO eine Kampagne zur Ausrottung der Malaria, man spritzte vor allem in Innenräumen DDT und kam auch weit.

Aber im Zug der Entkolonialisierung brachen viele Gesundheitssysteme zusammen, und die heillose Übernutzung von DDT in der Landwirtschaft der USA brachte den „Silent Spring“ – so nannte Rachel Carson 1962 ein Buch, in dem sie beschrieb, dass DDT Eischalen von Vögeln ausdünnt –, das Insektizid wurde weithin tabu. Damit war der WHO-Schlag verpufft, und Big Pharma hat ohnehin kein gesteigertes Interesse an den Armenhäusern.

Trotzdem gelang es, das Leiden zurückzudrängen: Lang starben im Schnitt eine Million Menschen im Jahr, 2015 waren es laut WHO 429.000. Das ist immer noch fast jede Minute einer – meist ein Kind im südlichen Afrika –, so haust, außer HIV, sonst kein Erreger. Dabei mangelt es nicht an Ideen, sie kommen im Wochentakt: Justin Boddey (Melbourne) ist einem molekularen Mechanismus auf der Spur, mit dem man das Eindringen des Erregers in Leberzellen verhindern könnte (Cell Reports 18, S. 1); Manuel Llinás (Penns) steuert das Gleiche bei roten Blutzellen an (Cell Host & Microbe 21, S. 731); Tania de Koning-Ward denkt in die Gegenrichtung: Sie will die Erreger aushungern, wenn sie in Blutzellen eingedrungen sind, dann soll die Zellmembran versiegelt werden, durch die Nährstoffe von außen geholt werden (eLife 23217).

Nicht geringer ist die Fantasie beim Kampf gegen die Überträger: Während manche mit der neuen Gentechnikmethode Crispr die Moskitos entweder ausrotten oder mit Plasmodium-Resistenz ausstatten wollen, suchen andere neue Insektizide: Jiang-Shiou Hwang (Taipeh) setzt auf Nanosilber, das in zerriebenes Chitin eingebettet ist (Hydrobiologia 11. 5.), Raymond St. Leger auf Gifte von Spinnen und Skorpionen (Scientific Reports 13. 5.); und wieder ein Aushungern schlägt John Beier (Miami) vor: Moskitos saugen nur selten Blut – Weibchen brauchen es zur Entwicklung der Eier –, meist holen sie Nektar ein. Den gibt es mancherorts im Überfluss, in Mali etwa, wo großflächig ein südamerikanisches Gebüsch angepflanzt wurde. Pflückt man die Blüten, dünnen sich die Moskitopopulationen stark aus (Malaria Journal 4. 7.).

Ob eine dieser Ideen Erfolg hat, bleibt abzuwarten. Aber das Halbieren der Opferzahlen ist auch nicht mit „silver bullets“ gelungen, sondern in kleinen Alltagsschritten, mit DDT-imprägnierten Moskitonetzen etwa. Und mit Müttern, die wissen, dass ihre Kinder die brauchen: Malaria wütet dort, wo es drunter und drüber geht, in der Republik Kongo etwa, die von Warlords so ausgeblutet ist, dass es kaum mehr Schulen gibt: Michael Hawkes (Alberta) hat 647 Kinder auf Malaria getestet und ihre Mütter nach ihrer Bildung gefragt: Bei denen, die keine hatten, litten 30 Prozent der Kinder an Malaria, eine absolvierte Grundschule senkte die Rate auf 17. „Das ist besser als der Impfstoff“, schließt Hawkes und schlägt einen „sozialen Impfstoff“ vor: Bildung (Pathogens and Global Health 9. 5.).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.08.2017)

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