Auch Quallen begeben sich zur Nachtruhe

Auch Quallen schlafen.
Auch Quallen schlafen.(c) APA (Günther Hulla)
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Das Rätsel des Schlafs ist um eine Facette reicher: Selbst Tiere, die kein Gehirn haben, gehen in den Zustand.

Ein Drittel unseres Lebens verbringen wir in dem eigenartigen Zustand, den wir Schlaf nennen, in dem aber fast gar nichts schläft: Das Herz pumpt, die Lunge tut es auch – gottlob! –, das Gehirn ist in manchen Phasen aktiver als im Wachzustand. Nur die Skelettmuskeln sind erschlafft, damit wir nicht herumspringen und uns/andere verletzen, und die Sinne fahren ihre Aufmerksamkeit zurück. Das macht den Schlaf um so erklärungsbedürftiger: In der Natur ist der temporäre Verzicht auf Sinneseindrücke – im Dunkeln: vor allem akustische – höchst riskant. Und doch leisten ihn sich, mit unterschiedlicher Dauer, alle Wirbeltiere.

Warum und wozu? Man weiß es nicht, fest steht nur, dass Ratten an Entzug von Schlaf rascher sterben als an dem von Futter, und unter Menschen wissen schlauere Folterer seit je, wie sie ihre Opfer ohne jede äußere Gewalt zum Reden bringen. Aber was quält so, wenn der Schlaf auch nur eine Nacht sich nicht einstellen will, was ist seine Funktion? Eine Hypothese steckt in der altbekannten Weisheit, dass man wichtige Entscheidungen besser noch einmal überschläft: Im Schlaf geht das Gehirn den Tag durch, es verfestigt wichtige Erinnerungen, es lässt unwichtige verblassen, so wird man im Schlaf klüger und lernt.

Abfuhr von allerlei Müll

Aber auch ganz unmetaphorischer Müll muss weg, Stoffwechselprodukte des Tages, oft toxische, dazu machen sich im Schlaf die Gehirnzellen kleiner – um 60 Prozent –, dadurch werden Leitungsbahnen für Abwasser frei, das ist einer der raren Funde der Schlafforschung, Maiken Nedergaard (Rochester) hat ihn 2013 gemacht (Science 342, S. 372).

Aber was auch immer weg und was auch immer bleiben soll, Grundlage der bisherigen Hypothesen ist die Existenz eines Gehirns, mit der hat man auch erklärt, dass etwa Fruchtfliegen und andere Insekten schlafen. Aber Quallen haben kein Gehirn, und doch begeben auch sie sich nächtens zur Ruhe: Sie fahren das Pulsieren ihres Körpers herab, reagieren schwächer auf Reize, und wenn die so stark werden, dass von Schlaf keine Rede sein kann, sind sie anderntags matt. All das hat Lea Goentoro (CalTech) an Cassiopea beobachtet und experimentell erkundet (Current Biology 21. 9.). Und all das bringt sie auf eine Frage: „Schlafen alle Tiere?“ Koautor Ravi Nath ergänzt: „Müssen Nervenzellen schlafen?“

Möglicherweise. Quallen sind uralt, und wenn sie auch kein Gehirn haben, so haben sie doch Nervenzellen, die miteinander kommunizieren wie die im Gehirn, über Synapsen und mit Neurotransmittern. Irgendwo dort schläft das Geheimnis des Schlafs vor sich hin.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.09.2017)

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