Europäer machen in Krisenzeiten den Schritt zu mehr Integration

Die Finanzkrise und die Griechenlandkrise hätten die EU auch weitergebracht, beobachten die Forscher. Die Bereitschaft, sich wirtschaftlich stärker zu integrieren, sei bei allen Mitgliedern gestiegen.
Die Finanzkrise und die Griechenlandkrise hätten die EU auch weitergebracht, beobachten die Forscher. Die Bereitschaft, sich wirtschaftlich stärker zu integrieren, sei bei allen Mitgliedern gestiegen.(c) EPA
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Wie hat sich bei den Mitgliedsstaaten der EU das Verhältnis zum Euro entwickelt? Das erforschen Wissenschaftler in einem internationalen Forschungsprojekt von Salzburg.

Emmanuel Macron hat eine Vision für Europa: eine stärker zentralisierte Fiskalpolitik, mehr Integration. Doch welche Chancen hat der französische Präsident, wenn er diese vertiefte europäische Zusammenarbeit, die er kürzlich an der Universität Sorbonne skizzierte, auch umsetzen will? Mit Themen wie diesen beschäftigt sich ein internationales Forschungsprojekt, das unter der Leitung des Salzburger Zentrums für Europäische Studien (SCEUS) seit 2015 durchgeführt wird. Es geht um die Frage, wie die einzelnen Mitgliedsstaaten zum Euro und einer Weiterentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion stehen.

„Unser Ziel ist es, auf Basis der unterschiedlichen Ansichten und Erfahrungen Handlungsanleitungen für eine stärkere wirtschafts- und fiskalpolitische Integration herauszufiltern“, erläutert Sonja Puntscher Riekmann, die Leiterin des SCEUS. Die Salzburger Wissenschaftler arbeiten im Rahmen des von der Europäischen Union mit 2,3 Millionen Euro geförderten Projekts mit Kollegen aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Schweden, der Schweiz und Ungarn zusammen.

Nationale Befindlichkeiten

Im ersten – mittlerweile abgeschlossenen – Projektteil wurden Experten und politische Akteure in den Mitgliedsstaaten zur gemeinsamen Währung im Allgemeinen und zur Euro-Rettung im Besonderen befragt. „Im Idealfall konnten wir mit Leuten reden, die bei der Währungsunion oder in der Finanzkrise mit am Verhandlungstisch saßen“, sagte Puntscher Riekmann: „Jeder Projektpartner brachte dabei seine Kontakte und Netzwerke ein.“

Bei den Befragungen zeigte sich erneut, wie stark die jeweils nationalen politischen Befindlichkeiten und Bedürfnisse die europäische Politik bestimmen und prägen. „Es stehen immer irgendwo Wahlen vor der Tür“, nennt Puntscher Riekmann ein Dilemma in der Kooperation der 28 Mitgliedsstaaten. Und vor nationalen Wahlen haben Projekte, bei denen es wie in der Frage der gemeinsamen Währung um die Einschränkung des eigenen Machtbereichs geht, keine Priorität.

Ein Gesprächspartner hätte beispielsweise ganz offen gesagt, dass Schweden gern den Euro einführen würden. „Aber sie wissen nicht, wie sie das der Bevölkerung verkaufen sollen“, erzählt Puntscher Riekmann. Das, was auf europäischer Ebene passiere, werde viel zu wenig offensiv in den Mitgliedsstaaten kommuniziert. Und damit fehle oft auch das Verständnis für Maßnahmen, beschreibt sie das Problem.

Auch die politischen Konstellationen sind für den Fortgang der stärkeren Integration entscheidend: „Es macht einen großen Unterschied, ob in Berlin eine große Koalition oder eine Regierung aus Union und FDP arbeitet“, erläuterte die Wissenschaftlerin. Mit der FDP sei es in der Griechenlandkrise für Angela Merkel schwer gewesen, auf einen grünen Zweig zu kommen. In der großen Koalition waren manche Entscheidungen einfacher durchzubringen.

Die Krise stärkte auch

In der Finanzkrise seien nicht nur die überschuldeten öffentlichen Haushalte das Problem gewesen. Manche Staaten wie Irland und Spanien hatten gar kein Schuldenproblem. Aber Staaten finanzieren sich heute meist über die Finanzmärkte und geraten damit in Abhängigkeit. Dazu sei das Problem mit den exzessiv exponierten Banken gekommen, fasst die Wissenschaftlerin zusammen. Die Bankenrettung durch die Staaten hat die Schuldenkrise zusätzlich befeuert.

Doch die Krise habe Europa auch weitergebracht, bilanziert Puntscher Riekmann: „Die Mitgliedsstaaten haben verstanden, dass in der Krise die Urkonstruktion der Währungsunion nicht hält.“ Und sie hätten Rettungspakete geschnürt, den Euro-Rettungsschirm ESM gespannt und den Fiskalpakt beschlossen. „Die Bereitschaft, sich wirtschaftlich stärker zu integrieren, ist durch die Krise bei allen gestiegen“, sagt die Politikwissenschaftlerin. Denn alle wüssten: „Wenn der Euro den Bach runtergeht, dann haben alle ein Problem.“ Die Europäer hätten immer nur in Krisenzeiten den Schritt zu mehr Integration gemacht, so Puntscher Riekmann.

Mittelfristig werde ein stärkerer Zugriff der EU auf die Fiskal- und Wirtschaftspolitik der Mitgliedsstaaten unumgänglich sein, betont die Europa-Expertin. Dann werde sich auch die Frage eines mit vernünftigen Rechten ausgestatteten Finanz- und Wirtschaftsministers stellen. Die EU werde auch nicht um eigene Steuern umhin kommen, weil Aufgaben wie die Sicherung der Außengrenzen der EU mit den bisherigen Budgets nicht finanzierbar seien.

Solidarität oder strenge Regeln?

Und wie ist die Haltung der Länder zu mehr Integration? Es gebe unterschiedliche Gruppen unter den Mitgliedsländern, fasst Puntscher Riekmann zusammen: Die einen würden sich zurücklehnen und abwarten, was andere Länder tun. Die Südstaaten seien für mehr Solidarität, möchten aber keine Macht an Brüssel abgeben. Die Länder der Euro-Kernzone stehen für einen engeren wirtschaftlichen Zusammenschluss, aber nur unter der Bedingung der strengsten Überwachung der Regeln.

Doch die pessimistische Prognose mancher Kollegen, dass ohne die nächste Finanzkrise in Sachen Wirtschafts- und Fiskalunion nichts passiere, teilt Puntscher Riekmann nicht: „Ich glaube, dass die Mitgliedsstaaten verstanden haben, was der Preis eines Zusammenbruchs der Währungsunion wäre.“

Lexikon

Das Projekt heißt „The Choice for Europe since Maastricht. Member States' Preferences for Economic and Financial Integration“ und ist am Salzburger Zentrum für Europäische Studien angesiedelt. Es untersucht die Entwicklung des Verhältnisses der EU-Mitgliedstaaten zum Euro. Die Österreicher arbeiten dabei mit Partnern aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Schweden, der Schweiz und Ungarn zusammen. Das Projekt ist mit 2,3 Millionen Euro dotiert und wird aus dem EU-Forschungsprogramm Horizon 2020 finanziert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.11.2017)

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