Permafrost-Genom: Vom Haarbüschel zum Phantombild

Permafrost-Genom: Vom Haarbüschel zum Phantombild
Permafrost-Genom: Vom Haarbüschel zum Phantombild (c) Nuka Godfredtsen
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Molekularbiologie. Erstmals wurde die komplette Erbinformation eines schon lange Toten sequenziert. Er war, vor 4000 Jahren, einer der Erstbesiedler Grönlands.

Er hatte eine dunkle Haut, braune Augen und schwarze Haare – dicke, aber schüttere, die Glatze kam früh –, er hatte Blutgruppe A und einen Stoffwechsel, der auf einen plumpen, an Kälte angepassten Körper deutet. Und er hatte Ohrenschmalz der trockenen Art, wie es bei vielen Asiaten üblich ist, auch bei den „kleinen Völkern des Nordens“ in Sibirien, etwa den Tschuktschen. Aber er lebte auf Grönland, vor etwa 4000 Jahren, und hinterlassen hat er nichts als ein Büschel Haare.

Wer war der Erstbesiedler Grönlands?

Die haben dänische Forscher 1986 aus dem Permafrost im Nordwesten der Insel gezogen und im Nationalmuseum in Kopenhagen eingelagert. Kein Mensch interessierte sich dafür, bis der Museumsdirektor zufällig mit dem Genetiker Eske Willerslev ins Gespräch kam: Der wollte klären, wer die Erstbesiedler Grönlands waren, die „Saqqaq“. Die sind längst ausgestorben und haben mit den heutigen Grönländern nichts zu tun, man weiß wenig von ihnen, auch nicht, woher sie kamen, es ist umstritten, verschiedene Indianer in Nordamerika sind Kandidaten. Deshalb suchte Willerslev auf Grönland nach Saqqaq-Fossilien. Er fand keine.

Aber in den Haaren im Museum steckte ein ganzes Genom. Willerslev sequenzierte es in voller Länge, es ist das neunte eines individuellen Menschen – und das erste eines längst Verstorbenen (die anderen sind von lebenden Personen). Hinter solchen Paläo-genomen sind viele her – ägyptische Forscher wollen bald das Genom Tutenchamuns vorlegen, Forscher in Leipzig sind mit dem des Neandertalers seit über einem Jahr im Verzug –, aber Willerslev beherrscht sein Metier, er hat schon Mammutgene analysiert. Und er hatte Glück: Zum einen blieben die Gene in der Kälte Grönlands gut erhalten, zum anderen werden Haare kaum von Pilzen oder Bakterien befallen (bei Haut ist es anders, deshalb sind in fossilierter Haut viele Pilz- und Bakteriengene).

Zum dritten war das Genom kaum mit Genen heutiger Menschen kontaminiert. Und wo doch, waren es Gene von Europäern. Aber von dort kam der frühe Grönländer – Willerslev nennt ihn „Inuk“, das heißt auf grönländisch „Mensch“ – nicht. Das war natürlich keine Überraschung. Aber das: Inuk kam auch nicht aus Nordamerika, sondern aus dem Norden Sibiriens. Seine Gene sind eng mit denen der (heutigen) Tschuktschen verwandt, die Saqqaq müssen sich vor etwa 5000 Jahren von ihnen getrennt haben. Dann zogen sie los, auf welchem Weg ist unbekannt, sie müssen erst den Pazifik, dann Nordamerika und dann den Atlantik bis Grönland überwunden haben.

Asien/Amerika: Viel Hin und Her

Und zwar rasch: In Nordamerika haben sie keine Spuren ihrer Gene hinterlassen. Sie haben von dort auch keine von anderen Völkerschaften mitgenommen. Sie waren offenbar eine von vielen Gruppen, die ständig aus Asien kamen und von denen manche auch wieder zurückwanderten. Es herrschte ein Kommen und Gehen, das hat gerade die jüngste Genanalyse der Bewohner der beiden Amerika gezeigt. Lange vermutete man, der Doppelkontinent sei ein einziges Mal erwandert worden, vor etwa 13.000 Jahren über die damals (durch die Eiszeit) trockene Beringstraße, man schloss es aus archäologischen Funden. Aber dann deutete die Verteilung der Sprachen auf eine zweite Einwanderungswelle.


Nun liest eine Gruppe um Laurent Excoffier (Bern) aus den Genen heutiger Amerikaner und Ostasiaten ein dauerndes Hin und Her: Die ersten Siedler kamen vor etwa 15.000 Jahren, die ersten Rückwanderer gingen vor etwa 10.000 Jahren. Es waren immer kleine Gruppen, die erste etwa hatte nicht einmal 100 reproduktionsfähige Mitglieder (Molecular Biology and Evolution, 5. 2.). Auch Inuk hatte wohl wenig Gesellschaft, seine Eltern – Cousin/Cousine –, mussten offenbar Inzucht riskieren, auch das zeigen seine Gene (Nature, 10. 2.). Eines zeigen sie nicht: Warum die Naqqaq die weite Wanderung aus der einen Unwirtlichkeit in die andere unternommen haben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11. Februar 2010)

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