Oxytokin öffnet Autisten-Augen

(c) AP (EVAN VUCCI)
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Das „Hormon der Mutterliebe“ kann sozial Eingekapselten den Zugang
zur Welt erleichtern: Unter seinem Einfluss gewinnen sie einen Blick für andere.

Wenn wir einen anderen einschätzen wollen, schauen wir ihm ins ganz automatisch ins Gesicht – vor allem in die Augen und ihre Region –, und wir beobachten, wie er sich anderen gegenüber verhält. Beides ist Menschen verwehrt, die an Autismus leiden, das ist eine breit gefächerte Entwicklungsstörung des Gehirns, die in schweren Ausformungen zu Selbstverstümmelung führen kann, aber auch in milderen Fällen – bei normaler Sprachfähigkeit und Intelligenz – durch soziale Einkapselung gekennzeichnet ist. Diese Menschen tun sich schwer damit, sich in andere und deren Pläne hineinzuversetzen und über soziale Lagen einen Überblick zu gewinnen, sie suchen keinen Kontakt und wehren ihn ab.
Könnte ihnen helfen, was uns allen beim allerersten Kontakt geholfen hat, Oxytokin? Das ist ein Hormon, das bei (werdenden) Müttern erst die Geburt einleitet und dann den Milchfluss. Mit ihm flößt es auch Vertrauen ein, es stärkt die Bindung zwischen Mutter und Kind – deshalb heißt es „Hormon der Mutterliebe“ – und die zwischen Erwachsenen. Das Hormon wirkt quer durch das Tierreich, bei Wühlmäusen in Nordamerika hat es den zusätzlichen Effekt, dass es die Treue zwischen Paaren hebt.

Droge des Vertrauens


Ob das auch bei uns so ist, ist unklar, fest steht aber, dass es das Vertrauen zwischen wildfremden Menschen fördert, Ernst Fehr, Vorarlberger Ökonom an der Uni Zürich, hat es in einem – gespenstischen – spieltheoretischen Experiment gezeigt: Er hat Probanden ein Spiel spielen lassen, bei dem einer vom Spielleiter echtes Geld erhält und davon dem anderen abgeben kann; der kann etwas zurückgeben, dann erhält der Erste auch noch etwas vom Spielleiter. Der Zweite kann sich aber auch nicht revanchieren, dann hat der Erste den Schaden. Gespielt werden mehrere Runden, irgendwann lernt der Erste das Verhalten des Zweiten und gibt ihm, falls nie eine Gegengabe kommt, nichts mehr ab. Wenn er aber die Nase voll Oxytokin hat – als Spray –, lässt er sich auch vom selbstsüchtigsten Mitspieler nicht enttäuschen und verschleudert vertrauensvoll Runde für Runde sein Geld (Neuron, 58, S. 639).

Könnte man also damit auch Autisten das Vertrauen bzw. generell den Zugang zu anderen erleichtern? Ein Team um Angela Sirigu (Bron) hat es im Psychologenlabor mit zwei Tests versucht, beim ersten mit einem Computerspiel, in dem drei Personen einander einen Ball zuwerfen. Eine der Personen war die Testperson – entweder ein Autist, oder, zur Kontrolle, ein Gesunder –, die anderen hatten die Forscher im Computer so programmiert, dass eine Person „gut“ mitspielte (den Ball oft weitergab), die andere „schlecht“ (den Ball lange behielt).

Gesunde Testpersonen bevorzugen beim Abgeben des Balls rasch den „guten“ Mitspieler, Autisten verteilen gleichmäßig an „gute“ und „schlechte“, sie gewinnen kein Urteil über deren Qualität als Mitspieler (oder sie ziehen keine Konsequenz daraus). Sprüht man ihnen aber Oxytokin in die Nase, bevorzugen auch sie kooperative Mitspieler. Ähnlich wandelte sich, im zweiten Test, ihr Blick auf Gesichter. Sie wurden gebeten, auf Fotos das Geschlecht der Abgebildeten zu bestimmen: Ohne Oxytokin wandern ihre Augen rasch auf dem betrachteten Gesicht herum, meiden aber die Augen. Mit Oxytokin nehmen sie auch die Information dieser Region auf s(Pnas, 15. 2.).s-6;0
sWas das Hormon in ihrem Gehirn ändert, ist nicht ganz klar: Der Test mit den Gesichtern deutet darauf, dass sie die Furcht vor anderen verlieren; der Ballspieltest weist eher auf soziales Lernen. Wie auch immer: „Oxytokin hat therapeutisches Potenzial“, schließen die Forscher aus ihrem Test, der eine Woche dauerte. Im nächsten Schritt wollen sie erkunden, ob der Effekt bei Dauergabe erhalten bleibt.

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