Hoher Spin: Ein neuer Typ von Supraleitung?

US-Physiker berichten, dass eine Legierung supraleitend wird, von der sie das nicht gedacht hätten.

Schon lange nichts mehr über Supraleitung gelesen hier? Das ist gut möglich, denn dieser Bereich der Festkörperphysik, der vor 25 Jahren noch als aufregendes Neuland, wenn nicht als Eldorado erschien, wirkt heute eher wie eine mühevolle Ebene. Der aktuelle Temperaturrekord wurde 1994 erreicht, er beträgt –135 Grad Celsius (eine höhere Sprungtemperatur fand man zwar bei Schwefelwasserstoff, aber nur unter extremem Druck); eine Theorie der Hochtemperatursupraleitung ist noch immer ausständig.

Auch für eine solche könnte interessant sein, was Physiker um Johnpierre Paglione (University of Maryland) in Science Advances (6. 4.) berichten: Sie haben an einer Legierung aus Yttrium, Platin und Wismut (YPtBi) einen neuen Typ von Supraleitung gefunden. YPtBi wird zwar erst unter einer Sprungtemperatur von 0,8 Kelvin (–272.3 Grad Celsius) supraleitend; aber es ist eine Überraschung, dass es überhaupt supraleitend wird, denn es ist kein guter (normaler) Leiter.

Anders gesagt: Es hat zu wenig frei bewegliche Elektronen. Elektrische Leitung beruht ja auf der Bewegung von Elektronen, während Supraleitung darauf beruht, dass sich Elektronen zu Paaren finden und dadurch frei fließen können. Bei gewöhnlicher Supraleitung sind es die Gitterschwingungen, die diese Paarbildung bewirken; was sie bei Hochtemperatursupraleitung bewirkt, ist ungeklärt. Auf jeden Fall sind es Elektronen, die sich paaren, und diese haben, wie man seit Wolfgang Pauli weiß, einen Spin von 1/2. Im YPtBi sei das anders, sagen die Physiker: Dort entstehe die Supraleitung aus Teilchen mit einem Spin von 3/2.

Solche Spinzustände sind in (angeregten) Atomen durchaus möglich, dass sie in Festkörpern vorkommen, hätte sich keiner gedacht, wie Paglione bestätigt: „Wenn man die Atome in einen Festkörper gibt, brechen diese Zustände üblicherweise zusammen, und es bleiben solche mit einem Spin von 1/2.“

Offen ist freilich auch, was Teilchen mit höheren Spins so zusammenhalten könnte, dass Supraleitung entsteht. Jedenfalls ist ein neuer Begriff – Hochspinsupraleitung – in der Physikwelt, der es den Spezialisten für Theorie der Festkörper gewiss nicht leichter machen wird.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.04.2018)

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