Anthropologie: Lebt der Neandertaler in uns?

(c) AP (FRANK FRANKLIN II)
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Die frühe Menschheitsgeschichte wird kompliziert: Zweimal haben andere, längst verschwundene Menschen Gene in Homo sapiens eingekreuzt.

Hatten unsere Ahnen Sex mit Neandertalern? Man darf es getrost annehmen – auch Svante Pääbo, der im MPI für Evolutionäre Anthropologie (Leipzig) am Neandertaler-Genom arbeitet, hat es gerade getan – schließlich lebten die beiden Jahrtausende Seite an Seite in Europa und Asien. Offen ist hingegen, ob der Sex folgenreich war, Nachwuchs brachte, der sich reproduzieren konnte – ob also die Neandertaler, die vor 30.000 Jahren so rätselhaft verschwanden, nur äußerlich verschwanden und in Wahrheit in uns leben.

In diesem Punkt hat Pääbo bisher abgewunken, andere sind vorgeprescht: Eric Trinkaus (Washington University, St.Louis) sieht in Neandertaler-Funden mosaikartige Morphologien, die auch H.sapiens enthalten (Pnas, 103, S.17196); Bruce Lahn (University of Chicago) fiel auf, dass vor 37.000 Jahren ein neues Gen in H.sapiens hineinkam, just eines, das für das Gehirn zuständig ist, microcephalin. Lahn schloss vorsichtig, das deute auf die „Möglichkeit einer Mischung von modernen Menschen und archaischen Homo-Populationen (Neandertaler wären eine Möglichkeit)“ (Pnas, 103, S.18178).

Späte Auswanderer trafen frühe

Beide Vorstöße fanden keine allzu offenen Ohren, nun kommt ein dritter: „Es hat Genaustausch zwischen archaischen und modernen Menschen gegeben“, berichtete eine Gruppe um Jeffrey Lang (University of New Mexico) auf dem Kongress der American Association of Physical Anthropologists in Albuquerque. Die Forscher haben Daten kleiner Genomabschnitte (Mikrosatelliten) von 1983 Menschen durchgemustert, die heute in 99 Populationen rund um die Erde leben. Dabei zeigte sich, dass vor 60.000 Jahren im Nahen Osten neue Mikrosatelliten auf uns kamen, und vor 45.000 Jahren noch einmal neue, in Ostasien. Heutige Afrikaner haben beide Novitäten nicht, die kamen erst nach der Auswanderung von H.sapiens aus dem Kontinent (vor etwa 70.000 Jahren zogen Gruppen los).

Die Wanderer müssen unterwegs auf Nachkommen früherer Auswanderungswellen getroffen sein und sich mit ihnen vermischt haben. Vielleicht waren die anderen Menschen Neandertaler – in Ostasien ist es eher unwahrscheinlich, dort hat man nie welche gefunden –, vielleicht waren sie ganz andere Menschen. Erst kürzlich wurde ein bisher völlig unbekannter entdeckt, der im Altai zeitgleich mit Neandertalern und modernen Menschen lebte (Nature, 25.3.).

Falls die Mikrosatelliten von Neandertalern kamen, wird man es (hoffentlich) bald wissen: Pääbo, der früher schon das mitochondriale Genom des Neandertalers sequenzierte und mit dem von H.sapiens verglich, fand keine Vermischung. Aber dieses Genom ist klein, die Wahrheit muss im Zellkern sitzen. Mit seinem Genom hätte Pääbo vor über einem Jahr fertig werden wollen, demnächst soll es so weit sein.

Frühe Läuse, frühe Kleidung

Anderes geht rascher: Die Menschen sind nicht alleine gewandert, sie hatten Begleiter, unerwünschte, Läuse etwa. Die saßen zunächst in den Haaren, später machten sie es sich auch in der Kleidung behaglich. Das konnten sie natürlich erst, als es Kleidung gab, bisher hielt man H.sapiens für den Erfinder. Aber auf dem Kongress gab es noch eine Überraschung: Andrew Kitchen hat in Genanalysen abgeschätzt, wann sich die Kleiderlaus aus der Kopflaus entwickelte: Vor 220.000 bis einer Million Jahren. „Kleidung ist nicht mit dem modernen Menschen und auch nicht mit spät überlebenden Spezies wie Neandertalern entstanden“, erklärte Kitchen, „sondern viel früher.“

HOMO: Immer mehr

Vor 35.000 Jahren lebten im Altai drei Menschenarten nebeneinander, Homo sapiens, Neandertaler und „WomanX“. Ein vierter lebte gleichzeitig (und wieder neben H.sapiens) auf der indonesischen Insel Flores: Menschen müssen oft aus Afrika ausgewandert sein und sich mit früheren Auswanderern vermischt haben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.04.2010)

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