Tierische Intelligenz: Kognitive Evolution

Tierische Intelligenz Kognitive Evolution
Tierische Intelligenz Kognitive Evolution(c) EPA (Sergei Chirikov)
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An der Uni Wien entsteht eine der weltweit stärksten Gruppen zur Untersuchung tierischer Intelligenz. Im Sommer wird eine neue Forschungsstelle eröffnet. Die Schwerpunkte: Kognition und Kommunikation bei Tieren.

Kognition hat Hochsaison, zumindest an der Universität Wien, an der seit Anfang des Jahres die Fakultät für Lebenswissenschaften um ein Department für Kognitionsbiologie erweitert wurde. Damit ist eine der weltweit stärksten Forschungsgruppen zur Untersuchung tierischer Intelligenz entstanden. Die Schwerpunkte: Kognition und Kommunikation bei Tieren. Im Mittelpunkt steht dabei der evolutionäre Ansatz, also der evolutionäre Ursprung von kognitiven Fähigkeiten, bei dem Mensch und Tier gleichermaßen Beachtung finden.

„Um Fragen menschlichen Verhaltens zu beantworten, müssen wir uns auch mit unterschiedlichen Tierarten beschäftigen“, sagt Tecumseh Fitch, der seit Juni 2009 Professor für Kognitionsbiologie an der Universität Wien ist. Dabei stützen sich die Wiener Wissenschaftler insbesondere auf das Verhalten von Vögeln, Hundeartigen und Affen, aber auch von Reptilien und Fischen, das sowohl im Labor als auch im natürlichen Umfeld erforscht wird.

Der verhaltensbiologische evolutionäre Ansatz, bei dem menschliches und tierisches Verhalten verglichen werden, ist eine moderne Alternative zur evolutionären Psychologie, bei der nur die jüngste Vergangenheit des Menschen Eingang in die Forschung findet.


Kognitive Evolution. Die Kognitionsbiologen finden zunächst einmal heraus, welche Merkmale bei welchen Tierarten vorzufinden sind. Dabei schauen sie nicht nur auf Verhaltensmerkmale, sondern ziehen auch genetische Daten und Informationen über das Nervensystem als Basis heran. So lässt sich die kognitive Evolution von Arten nachzeichnen. „Wir können daran ablesen, wann sich bestimmte Fähigkeiten entwickelt haben könnten. Sei es das Farbensehen der Affen, sei es das Spielbedürfnis von Hunden oder der Aufbau des Auges von Vögeln: Es gibt eine Reihe von Gemeinsamkeiten mit dem Menschen, die anerkannt werden müssen“, betont Fitch. Und dennoch wollen die Kognitionsbiologen der Universität Wien mehr: Sie wollen die Sprache und die mentalen Prozesse, die dem Verhalten von Lebewesen zugrunde liegen, verstehen lernen.

Dazu braucht es eine enge Zusammenarbeit von Natur-, Geistes- und Sozialwissenschaften. Genau diese Synergieeffekte bereichern das Department für Kognitionsbiologie, an dem es zu einem intensiven Austausch zwischen Fitch, Departmentsleiter Ludwig Huber und Thomas Bugnyar, seit Oktober 2009 Vertragsprofessor für Kognitive Ethologie, kommt.

„Je mehr man sich mit dem Tierreich beschäftigt, desto greifbarer wird die Evolution der Sprache“, erklärt Fitch. Es gibt keinen Zweifel: Sprache und Kognition sind eng miteinander verbunden und bedingen einander. Beim Menschen ist das leicht einzusehen: Kleinkinder müssen, um sprechen zu lernen, imitieren und die Intention des Gesprochenen einordnen können. Haben sie die Fähigkeit zu sprechen erlernt, haben sie damit ein Mittel erworben, um sozial kommunizieren zu können.

Manche Tiere verfügen über ähnliche Fähigkeiten, haben jedoch keine Sprache entwickelt. Warum? Die vorherrschende Hypothese führt dies auf anatomische Merkmale, unter anderem auf das Kiefer und die Zungenstellung zurück. Fitch vertritt eine andere Theorie.

„Wir haben uns genau angesehen, was Tiere machen, wenn sie vokalisieren. Dabei gibt es wenige Unterschiede zwischen Hunden, Affen und Menschen.“ Seiner Meinung nach sind direkte Verbindungen zwischen dem Motorcortex, einem Bereich in der Großhirnrinde, und dort angesiedelten Neuronen, die die Stimme kontrollieren, ausschlaggebend. Singvögel und Papageien sind ein gutes Beispiel dafür. Sie verfügen über derartige Verbindungen. Der Kehlkopf spiele nur für die Artikulation eine Rolle. Während es bei den Menschen durch das Absenken des Kehlkopfes zu einer artikulierten Sprechweise gekommen ist, bringen Menschenaffen wie Schimpansen nur Grunzlaute hervor.


Papageien und Damhirsche.
Um diesen Hypothesen detailliert auf den Grund gehen zu können, engagierten sich die Wissenschaftler für den Bau einer neuen Forschungsstation außerhalb Wiens, der durch eine Kooperation mit der Veterinärmedizinischen Universität Wien realisiert werden konnte. Im Sommer 2010 wird die Kognitionsbiologie am Haidlhof auf einem Areal des Lehr- und Forschungsgutes Kremesberg nahe Bad Vöslau Einzug halten. Großräumige, zusammen rund 1200Quadratmeter große Forschungsvolieren für Raben- und Papageienvögel sowie ein damit verbundenes Akustiklabor von 160 Quadratmetern eröffnen den Kognitionsbiologen neue Forschungsmöglichkeiten, auch im Hinblick auf internationale Kooperationen. „Intelligenzleistungen, genauer gesagt, kognitive Fähigkeiten zur Lösung von Alltagsproblemen, lassen sich dadurch in natürlicher Umgebung beobachten“, so Huber.

Protagonisten am Haidlhof werden unter anderem Keas, neuseeländische Bergpapageien sein, an denen die Wechselwirkungen von sozialer und technischer Intelligenz besonders gut untersucht werden können. „Keas haben erstaunliche technische Fähigkeiten“, weiß Huber. „Außerdem lernen sie voneinander.“ Keas sind sehr erfinderisch. Wie kommt es jedoch dazu? Welche Rolle spielen dabei soziale Aspekte? Fragen, auf die am Haidlhof nach Antworten gesucht werden wird, zum Beispiel mit natürlichen Futtersuchexperimenten. Keas fressen unter anderem auch Wurzeln. Wie gelangen sie aber an die unsichtbaren Leckereien? Das erfordert intelligente Leistungen.

Der kognitive Ethologe Thomas Bugnyar wird sich der Erforschung der Kolkraben widmen und am Haidlhof seine bisherigen Studien an der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle in Grünau ergänzen. Von Raben ist bereits bekannt, dass sie schwierige Aufgaben wie gegenseitige Täuschmanöver oder das Einschätzen von Perspektive beherrschen. „Ich möchte herausfinden, inwieweit diese Fähigkeiten mit Alltagsproblemen in Verbindung stehen, wie der Frage, was ich über andere wissen muss, und inwieweit diese ein komplexes Taktieren erlauben, im Sinne von: Wie kann ich andere für mich einsetzen?“, sagt Bugnyar.


Akustiklabor und Röntgen. Eine große Errungenschaft des Haidlhofes, die die Kognitionsbiologie in Wien vorantreiben soll, ist das Bioakustiklabor, das eigens eingerichtet wird. „Darin werden wir Tiere isoliert voneinander hinsichtlich ihrer kognitiven und kommunikativen Fähigkeiten testen, ohne dass sie von Artgenossen gestört werden, und zwar, indem sie von diesen nur kurzfristig getrennt werden müssen“, erklärt Huber. Außerdem wird ein Röntgenapparat mit Videofunktion die Kehlkopfwanderungen bei Lautäußerungen von Säugetieren aufzeichnen. Technisches Equipment, das bei vielen verschiedenen Tieren angewandt werden soll, wie etwa bei Damhirschen.

Der Begriff Kognition ist relativ schwammig definiert: Im Kern geht es um die Informationsverarbeitung bei Mensch und Tier und die Auswirkungen auf das Verhalten. Dazu zählen u.a. Lernen, Planen oder Orientierung.

Der Vergleich von menschlichen mit tierischen Fähigkeiten führt zu neuen Erkenntnissen und ermöglicht z.B. eine Erklärung für die Evolution bestimmter Fähigkeiten – etwa von sozialen Verhaltensweisen oder dem Sprechen.

Ein Vorläufer dieses vergleichenden Ansatzes ist der österreichische Naturforscher Konrad Lorenz (1903–1989), der für die (Mit-)Entwicklung der Ethologie („Vergleich-ende Verhaltensforschung“) im Jahr 1973 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde. DPA

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.06.2010)

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