Antisoziale und soziale Teilchen

Quantenphysik. Die einen Teilchen weichen einander aus, die anderen "klumpen". Nun gelang es, in einer Versuchsanordnung beide "Verhaltensweisen" zu zeigen.

Der Hamburger Stadtteil St. Pauli sollte eigentlich nach ihm benannt sein, sagte der in etlichen Nachtbars wohlbekannte Wiener Physiker Wolfgang Pauli (1900 bis 1958) gern. Tatsächlich nach ihm benannt ist ein Verbot (auch "Ausschließungsprinzip"), das alle Teilchen, die die Physik kennt, in zwei Reiche teilt, in Fermionen und Bosonen. Eine Möglichkeit der Definition: Fermionen sind Teilchen, die das Pauli-Verbot befolgen; Bosonen sind Teilchen, die das nicht tun.

Was sagt das Pauli-Verbot? Es sei "wie eines der zehn Gebote", schrieb Pauli-Biograf Charles Enz: "Du sollst kein zweites Elektron im selben Zustand bei dir haben." Das heißt, dass etwa in einem Atom nie zwei Elektronen in einem Quantenzustand sein können. Dadurch wird erst der Aufbau des Periodensystems der Elemente - damit die ganze Chemie - möglich und erklärbar.

Elektronen sind eben Fermionen, "antisoziale" Teilchen (Pauli selbst prägte diese anthropomorphisierende Redeweise), die einander ausweichen. Im Gegensatz zu den "sozialen" Bosonen, die sich "gern" in einem Kollektiv einfinden, die "klumpen", die "bündeln" ("bunch").

Etwas sachlicher betrachtet, kann man die beiden durch eine Eigenschaft unterscheiden, die auch Pauli entdeckt hat: Fermionen haben halbzahligen Spin, Bosonen ganzzahligen. Bei den Elementarteilchen ist die Trennung ganz eindeutig: Alle Teilchen, die die Materie ausmachen (Elektronen, Neutrinos, Quarks; auch die Teilchen, die aus Quarks bestehen: Neutronen, Protonen), sind Fermionen; alle Teilchen, die Kräfte verkörpern (Photonen des Elektromagnetismus, Gluonen der starken Kernkraft, Eichbosonen der schwachen Kernkraft, Gravitonen - wenn es sie gibt! -), sind Bosonen.

An Photonen, den Teilchen, die die elektromagnetische Kraft - und damit das Licht - verkörpern, wurde erstmals vor 51 Jahren ein Effekt gemessen, der klar zeigt, wie es sie als Bosonen zueinander zieht: der Hanbury-Brown-und-Twiss-Effekt (HBT-Effekt), benannt nach den englischen Physikern Robert Hanbury Brown und Richard Twiss.

Die beiden bastelten an Stellar-Interferometern, Geräten, die das Licht von Sternen auffangen und analysieren. Aus dem Muster der Interferenz (Überlagerung) von Licht, das von weiter entfernten Regionen des Sterns kommt, mit Licht von näheren Regionen kann man auf den Durchmesser des Sterns schließen. Dass dieses und jenes Licht überhaupt interferieren, war eine Überraschung: Genährt wurde die Skepsis durch die damals aktuelle extreme Auffassung des Quanten-Theoretikers Paul Dirac, die er in einem berühmten Diktum selbst überspitzte: "Jedes Photon interferiert nur mit sich selbst." Dagegen sagt der HBT-Effekt, dass unterschiedliche Photonen nicht nur miteinander interferieren, sondern sogar Nähe zu ihresgleichen suchen, eben zum "Bündeln" neigen.

In einer klassischen Interpretation gab es dagegen überhaupt kein Problem mit diesem HBT-Effekt. Er lässt sich aus der Maxwell-Theorie des Lichtes - in der das Licht einfach eine Welle ist und keinerlei "Teilchennatur" hat - leicht ableiten. Ihn in der Quantentheorie zu erklären war schwieriger - doch fruchtbar: Das war ein Ausgangspunkt für die moderne Quantenoptik, für deren Entwicklung Roy Glauber im Jahr 2005 den Nobelpreis erhielt. Und man kann mit diesem Formalismus nicht nur erklären, wieso sich Bosonen (wie eben Photonen) "bündeln", sondern auch den entgegengesetzten Effekt bei Fermionen: Sie weichen einander aus, befolgen das Pauli-Verbot. Das allerdings ist nicht "klassisch" erklärbar, sondern nur im Rahmen der Quantentheorie.

Experimentalphysikern um Christoph Westbrook (Universit© Paris-sud) ist es nun gelungen, in derselben Apparatur beide Effekte zu zeigen, noch dazu mit ganz ähnlichen Atomen: den Helium-Isotopen 3He und 4He (Nature, 445, S. 402). Dazu muss man sagen, dass Atome entweder Bosonen oder Fermionen sind, das entscheidet die Summe der Teilchen, aus denen sie sich zusammensetzen. 3He besteht aus zwei Protonen, einem Neutron und zwei Elektronen, die Summe aus fünf halbzahligen Spins ist sicher halbzahlig, also ist 3He ein Fermion. 4He besteht aus zwei Protonen, zwei Neutronen und zwei Elektronen, die Summe aus sechs halbzahligen Spins ist ganzzahlig, also ist 4He ein Boson.

Der scheinbar minimale Unterschied in einem Neutron - das z. B. chemisch überhaupt keine Rolle spielt - macht, wie Westbrook und Mitarbeiter zeigen konnten, einen großen Unterschied im "sozialen" Verhalten dieser Atomsorten. Bei Helium dieser Dichte kann man elektromagnetische Anziehung oder Abstoßung zwischen den Atomen vernachlässigen, es bleibt der Effekt der Quantenstatistik: Die Fermionen meiden einander, die Bosonen suchen einander. Das sieht man in der Paar-Korrelationsfunktionen: Die beschreiben, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, ein Teilchen in einem bestimmten Abstand zu einem anderen zu finden. Gemessen wurden sie an stark verdünnten Gasen aus den jeweiligen Atomen, in einer magnetischen Falle. Wenn sich das Gleichgewicht eingestellt hat, wird das Magnetfeld ausgeschaltet: Die Atome fallen durch die Schwerkraft aus ihrer Wolke auf den Detektor, der Position und Ankunftszeit aufzeichnet.

So wird Quantenstatistik an einzelnen Atomen messbar. Und Wolfgang Pauli darf wieder einmal Recht behalten.

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