Urhirn vor 600 Millionen Jahren

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Die Lernzentren von Wirbeltieren und Wirbellosen haben einen gemeinsamen Ursprung. Forscher um Detlev Arendt (Heidelberg) fanden erstaunliche Parallelen zur Entwicklung des Großhirns von Wirbeltieren.

Unser Denken und Lernen spielt sich im Großhirn ab. Diese gigantische Ansammlung von Nervenzellen hat sich aus primitiveren Formen entwickelt, doch sie ist typisch für alle Wirbeltiere: Ihre ursprüngliche Funktion war die Verarbeitung von Geruchsreizen. Höhere wirbellose Tiere, etwa Insekten, Spinnen und Ringelwürmer, haben ein funktionell vergleichbares Organ: die „mushroom bodies“, ebenfalls für Gedächtnis und Lernen – vor allem olfaktorischer Informationen – zuständig.

Bisher glaubte man, dass diese beiden Zentren unabhängig voneinander entstanden sind. Doch nun untersuchten Forscher um Detlev Arendt (Heidelberg) die Entwicklung der „mushroom bodies“ des Ringelwurms Platynereis dumerii genauer (Cell, 142, S.800). Sie fanden erstaunliche Parallelen zur Entwicklung des Großhirns von Wirbeltieren. Ihr Schluss: Schon der letzte gemeinsame Vorfahre von Wirbeltieren und Ringelwürmern – der vor circa 600 Millionen Jahren lebte – muss eine Urform des Gehirns besessen haben. Was tat er damit? Er konnte „zwischen Nahrung und Nichtnahrung unterscheiden, über die Bewegung in Richtung identifizierter Nahrungsquellen entscheiden und frühere Erfahrungen in einer Art von ,Lernen‘ integrieren“, vermuten die Forscher. Dieses Urhirn habe sich dann weiterentwickelt – in einer Abstammungslinie zum Großhirn, in der anderen zu den „mushroom bodies“. In manchen Fällen habe es sich aber auch zurückgebildet: Sesshafte oder parasitäre Lebensweise erlauben es, die Komplexität des Zentralnervensystens zu reduzieren und damit Energie zu sparen. tk

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.09.2010)

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